Dossier

Von Kuba nach Montana Hardin will "Gitmo" sein

Das nigelnagelneue Gefängnis steht leer, Arbeitsplätze werden dringend benötigt. Der 3400-Seelen-Ort Hardin in Montana würde liebend gern die Gefangenen von Guantánamo aufnehmen.

Hardin ist in Washington vorstellig geworden.

Hardin ist in Washington vorstellig geworden.

(Foto: AP)

Niemand in den USA will die Gefangenen von Guantánamo Bay haben, wenn das Lager auf Kuba geschlossen wird - mit einer Ausnahme: Eine kleine, arme, sterbende Stadt in Montana, wo sich Hase und Fuchs gute Nacht sagen, wünscht sich nichts sehnlicher, als das neue "Gitmo" zu werden, und ist in der Sache auch bereits in Washington vorstellig geworden.

Hardin heißt der Ort im sogenannten Big-Sky-Country mit endlosen Prärien unter einem endlosen Himmel. Knapp 3400 Seelen gibt es hier. Und ein funkelnagelneues Gefängnis: Vor gerade mal zwei Jahren wurde es fertig gestellt, 27 Millionen Dollar hat der Bau gekostet, das Städtchen stürzte sich dafür tief in Schulden. Hier, in dem fensterlosen Zementblock hinter Maschen- und Stacheldraht auf einem Gelände, auf dem einst Antilopen grasten, ist Platz für 464 Häftlinge. Aber keine einzige Zelle ist belegt. Der Grund: ein neuer Gouverneur im Staat, der befand, dass das Gefängnis gar nicht benötigt werde.

Mörder erwünscht

Seitdem hat sich Hardins Stadtrat immer wieder vergeblich um die Verlegung von Gefangenen aus anderen Teilen Montanas in die neue Haftanstalt bemüht. Gern könnten es auch Mörder sein: Jeder Gefangene bedeutet schließlich Arbeit und damit die Verheißung besserer Zeiten in der gebeutelten Gemeinde im ärmsten Landkreis Montanas, in der ein Geschäft nach dem anderen dicht macht und mehr als zehn Prozent der Erwachsenen keinen Job haben.

Und nun sieht der Stadtrat einen neuen Hoffnungsschimmer - im Plan von US-Präsident Barack Obama, Guantánamo Bay zu schließen. Mindestens 100 der etwa 240 derzeitigen terrorverdächtigen Lagerinsassen, so erwarten Experten, könnten damit im nächsten Jahr hinter Mauern und Stacheldraht auf US-Boden landen: in Erwartung eines Prozesses, zur Haft verurteilt oder auf unbestimmte Zeit in Sicherheitsverwahrung.

Aber kein Bundesstaat will diese Männer haben, auch nicht in einem der Hochsicherheitsgefängnisse wie dem "Supermax" in Florence, Colorado, in dem immerhin schon 33 verurteilte internationale Terroristen residieren. Ob Republikaner oder Demokraten: Im Kongress hat sich eine weitgehend geschlossene Front gegen die Unterbringung der "Gitmo"-Gefangenen in Haftanstalten auf heimischem Boden gebildet - zu gefährlich seien diese Menschen.

Senator: Nicht mit mir

Einwohner und Stadtrat sind über die Pläne uneins.

Einwohner und Stadtrat sind über die Pläne uneins.

Da ist der Stadtrat von Hardin aus anderem Holz. Anfang Mai beschloss er, sich in Washington um die Unterbringung der mutmaßlichen Terroristen im Two River Detention Center zu bewerben, dem neuen, leeren "Zwei-Flüsse-Haftzentrum". Die Chancen, das sieht man realistisch, sind klein, schließlich sperren sich auch die Repräsentanten Montanas im Washingtoner Kongress. "Wir werden Al Kaida nicht ins Big-Sky-Country bringen", sagte beispielsweise Senator Max Baucus dem "Time"-Magazin. "Ausgeschlossen. Nicht mit mir." Und auch seinem Senatskollegen Jon Tester wird bei der Vorstellung, ein Gefangener könne ausbrechen oder nach Verbüßung seiner Haftstrafe die Prärien im Staat an der Grenze zu Kanada unsicher machen, angst und bange.

Greg Smith, Direktor für Wirtschaftsentwicklung in Hardin, sieht dagegen im Gefangenen-Zufluss aus Guantánamo die große Chance, dem Städtchen zu neuer Blüte zu verhelfen. Hunderte Arbeitsplätze, so die Schätzungen, könnten die "Gitmos" nach Hardin bringen, jede Menge Gefängnispersonal würde nötig und das wiederum vollere Läden, Restaurants und den Bau neuer Wohnhäuser bedeuten.

Terroristen ungefährlicher als Axtmörder

Für die Haltung der politischen Staatsrepräsentanten hat Smith nur Verachtung übrig. "Sie sind Feiglinge", sagte er dem britischen "Guardian". In anderen Gefängnissen säßen auch gefährliche Leute, da machten die Terroristen keinen großen Unterschied. Im Gegenteil. "Ich hätte größere Sorgen, wenn es Axtmörder oder Vergewaltiger wären. Die Leute in Guantánamo sind hauptsächlich Planer. Sie werden sich keine Bomben (für Selbstmordanschläge) an den Körper schnallen - sie haben andere Leute, die diese ... Sache tun."

Die Einwohner des Städtchens sind indessen gespalten. Das neue Gefängnis sei wirklich sehr ausbruchsicher, zitieren US-Medien einen pensionierten Arzt. Und wenn einem Gefangenen die Flucht gelänge, dann werde er herausstechen wie ein bunter Hund: "Wir haben hier nur wenige, die so aussehen. Es gibt keinen Platz zum Verstecken." Ein Ladeninhaber will "hier keine Terroristen haben", aber er tröstet sich mit dem Gedanken, dass die Unterbringung in Hardin wahrscheinlich schon für viele Gefangene an sich eine Strafe sei - nach tropischem Klima in Guantánamo lange Wintermonate mit eisigen Temperaturen in Montana.

Quelle: ntv.de, Gabriele Chwallek, dpa

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