Dossier

Ermittlungen ohne Ende Korruption beim Bau der A 72

Der Fall kam mit einem Doppelmord in der Karibik ans Licht und hat sich zu einem Betrugsskandal entwickelt, der in Ostdeutschland seinesgleichen sucht. Transparency Deutschland spricht von einem "sehr gravierenden Fall". Durch Betrügereien beim Bau der A 72 von Chemnitz nach Hof soll ein Schaden von mindestens 27 Millionen Euro entstanden sein. Nach bisherigen Erkenntnissen sind 25 bis 30 Firmen darin verstrickt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt mittlerweile gegen etwa 65 Beschuldigte. Ein Ende ist nicht abzusehen.

Beim Bau der Autobahn sollen im großen Stil Subunternehmen des Baukonzerns Strabag gegründet und in den Ruin getrieben worden sein, um Löhne und Krankenversicherung für die Arbeiter in die eigene Tasche zu wirtschaften. Lieferanten wurden - so lautet der Verdacht - geprellt. Bei der Strabag soll mit Scheinrechnungen abkassiert worden sein. Mit Geld aus einer schwarzen Kasse, die mit zwei bis drei Millionen Euro gefüllt war, wurden angeblich auch Behörden bestochen. Ermittelt wird nun wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung, Betrugs, des Verdachts auf Untreue und Bestechlichkeit.

Den Stein ins Rollen brachte der Mord an einem Bauunternehmer aus Plauen, der in die Betrügereien verwickelt war. Er kam zusammen mit seiner Freundin 2003 in der Dominikanischen Republik ums Leben. "Der Mord war eine Art Betriebsunfall, bei den Untersuchungen zu den Hintergründen gab es erste Hinweise auf den Baubetrug", sagt der Leitende Oberstaatsanwalt Gerd Schmidt aus Chemnitz. Die Ermittler stießen damals auf dubiose Pleitefirmen.

Bei einer ersten großen Aktion der Staatsanwaltschaft im Dezember 2005 wurden Wohnungen und Geschäftsräume in 56 Städten Deutschlands und Österreichs durchsucht. Sechs Hauptverdächtige gerieten ins Visier. Zwei von ihnen stehen seit Oktober vergangenen Jahres wegen des Verdachts auf Betrug und Insolvenzverschleppung in Chemnitz vor Gericht, unter ihnen ein ehemaliger Bauingenieur der Strabag. Dieser packte nach langem Schweigen aus und führte die Ermittler schließlich auf eine weitere Spur.

Nach einer zweiten Durchsuchungsaktion in drei Bundesländern stehen unter dem Strich weitere 25 Verdächtige. Der vermutete Betrugsschaden hat sich von 10 auf 27 Millionen Euro nahezu verdreifacht. Ein neues Verdachtsmoment kam hinzu - Korruption. Staatsanwalt Schmidt zufolge war etwa die Hälfte der jetzt unter Verdacht Geratenen eigentlich mit der Kontrolle des Autobahnbaus betraut: Mitarbeiter von Straßenbauämtern und privater Baubüros. Sie sollen falsche Rechnungen abgenickt und dafür Geld kassiert haben. Laut Staatsanwaltschaft wird derzeit gegen sieben Bedienstete von Straßenbauverwaltungen des Landes und von Kommunen ermittelt.

"Es lässt sich nicht abschätzen, welchen Umfang die Ermittlungen noch annehmen werden", meint Gunter Fromm vom Landeskriminalamt Sachsen. Die Auswertung der kürzlich beschlagnahmten 3.500 Aktenordner und hunderter Datenträger könne mehrere Monate dauern. Inzwischen verdichten sich der Staatsanwaltschaft zufolge die Hinweise, dass auch bei anderen Bauprojekten mit Strabag-Beteiligung betrogen wurde. Derzeit werden auch die Abschnitte auf der A 4 von Chemnitz Richtung Thüringen sowie Zubringer-Straßen und Anschluss-Stellen überprüft, an denen das Unternehmen beteiligt war.

Wie brisant der Fall eingeschätzt wird, zeigt die Reaktion der Strabag-Zentrale in Köln. Nach der Ausweitung der Ermittlungen und der Durchsuchung ihrer Geschäftsräume schloss sie kurzerhand ihre Niederlassung in Chemnitz, in der bislang 90 Mitarbeiter beschäftigt waren. Zudem sicherte sie zu, maximal zur Aufklärung beitragen zu wollen.

Bisher trat Korruption vor allem bei der Auftragsvergabe zu Tage, sagt der Geschäftsführer von Transparency Deutschland, Christian Humborg. Seit diesem Fall müsse aber offensichtlich auch bei den Abrechnungen genauer hingesehen werden. Die Städte Chemnitz und Dresden haben bereits reagiert. Sie kündigten jetzt an, Verkehrsbauten der vergangenen Jahre genau zu durchleuchten.

(Ralf Hübner, dpa)

Quelle: ntv.de

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