Dossier

Zerstörte Träume im Gazastreifen Leben in Trümmern

Resigniert stapft Ghassan al-Adham über den staubigen Acker am Rand von Beit Lahija im nördlichen Gazastreifen. "Das waren einmal meine Erdbeerfelder", sagt er mit einer ausladenden Handbewegung. Israelische Panzer haben sie bei der Militäroffensive niedergewalzt. Nur wenige Reihen der langstieligen, grünblättrigen Pflanzen, an denen die begehrte rote Frucht reift, haben überlebt. Zurückgeblieben ist großteils von Panzerketten durchfurchter toter Erdboden. "Hier habe ich eine Kuh verscharrt", zeigt Al-Adham auf den Boden unter sich. Insgesamt verlor der Landwirt sieben Kühe, drei Kälber, einen Esel und mehrere Ziegen.

Es ist nicht der einzige Schaden, den der 38-jährige Vater von sechs Kindern zu beklagen hat. Sein Haus bekam Granattreffer ab und brannte zum Teil aus. Auch der Lebensmittelladen, den er betreibt, wurde von den israelischen Panzern in Trümmer geschossen, als die Truppen vor einer Woche angesichts der bevorstehenden Ankündigung einer Waffenruhe aus Beit Lahija abrückten und "wie wild herumschossen", erzählt der Bauer und Ladenbesitzer. Die Menschen im Dorf hätten nur deshalb überlebt, weil sie vorher in eine nahegelegene UN-Schule geflüchtet waren.

Zerstörung und Trotz

Al-Adham versucht sein Leben wieder in den Griff zu bekommen. Auf umgerechnet 130.000 Euro schätzt er den Schaden, den ihm Israels Waffengang in Gaza zugefügt hat. Auf dem nackten Boden seines Ladens, dessen Frontmauer von Granaten weggerissen wurde, breitet er neue Waren aus. Es ist ein ärmliches Sortiment: ein paar Tüten mit Mandeln, Zucker und Mehl, ein paar Schachteln mit Süßigkeiten und Kaugummi. "Ich habe nichts mehr", sagt Al-Adham. "Freunde und die Handelsfirmen haben mir Geld und Waren auf Pump gegeben." Mit knappp 400 Euro steht er an seinem Neuanfang im Schneider.

Im Maruf-Viertel von Beit Lahija ist praktisch kein einziges Haus heil geblieben. Ausgebrannte Autowracks liegen herum. Auch ein einfaches, mit Blech überdachtes Gebetshaus wurde von einer Rakete getroffen. Aus dem Schutt lugen Gebetsteppiche hervor. In der Trümmerlandschaft sind Frauen zu sehen, die im Freien Geschirr spülen. Das Wasser entnehmen sie braunen Kanistern, die mit einem Wasserhahn versehen sind und etwa 10 Dollar kosten. Die Familien mussten sie selbst kaufen, denn "Hilfsorganisationen sind hier noch keine vorbeigekommen", wie Clanchef Rubin Madschid Maruf (55) betont. Auch er hat alles verloren. "Es ist unser Land, uns wird es immer hier geben", sagt er trotzig.

Um Jahre zurückgeworfen

Auch im benachbarten Al-Atatrah, auf einer leichten Anhöhe über dem Mittelmeer gelegen, hat das israelische Militär eine Spur der Verwüstung hinterlassen, als es durch das Dorf zog. Dem Haus der Familie Abuhalima haben Granaten die Front weggerissen. Einen Raum im Erdgeschoss deckte man mit einem improvisierten Vorhang ab, um ein Minimum an Privatleben zu bewahren. Dahinter sind nur Trümmer und ein kleiner Gaskocher. Das Mobiliar sollen israelische Soldaten, die sich dort niedergelassen hatten, kaputtgemacht haben, sagen die Bewohner.

Auch der Landwirt Ahmed Abuhalima (57) hat alles verloren. Den begabtesten seiner vier Söhne hat er zum Medizinstudium nach Deutschland geschickt. Die wahre Katastrophe besteht für ihn darin, dass er Hamdan jetzt wegen des Verlusts seiner Einkünfte das Studium nicht mehr finanzieren kann. Hamdan studiert an der Universität Münster und hat nicht mehr lange bis zum Abschluss. "Ich habe bereits Stress mit der Miete, und ich weiß wirklich nicht mehr, wie es weitergehen soll", ruft er verzweifelt ins Telefon. "Wenn doch jemand helfen könnte, vielleicht Bundeskanzlerin Angela Merkel", sagt Vater Ahmed mit fast flehendem Unterton.

Das israelische Militär hatte während der dreiwöchigen Offensive im Gazastreifen immer wieder behauptet, mit aller Härte, zugleich aber mit "chirurgischer Zielgenauigkeit" gegen legitime militärische Ziele vorgegangen zu sein. In Beit Lahija und Al-Atatrah, so stellen es zumindest die Bewohner dar, gab es aber keine Aktivitäten militanter Palästinenser. Die Vernichtung ihrer Existenzen hat sie möglicherweise um Jahrzehnte zurückgeworfen. Israel habe sie kollektiv bestraft, weil sie auf einem Leben in Freiheit und ohne Besatzung beharren, glauben viele.

Quelle: ntv.de, Gregor Mayer, dpa

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