Dossier

Internet-Bullying Lehrer als "digitales Freiwild"

Viele Lehrer in Deutschland fühlen sich nach Ansicht des Philologenverbandes mit der rasanten Entwicklung des Internets zu "digitalem Freiwild" degradiert. Im Unterricht nehmen Schüler mit Handys Videos von Lehrern auf und stellen diese ins Internet. In Bayern bastelte ein 14-jähriger Schüler den Kopf seines Lateinlehrers in ein Hinrichtungs-Comicvideo hinein. Eine Pistole tauchte auf, anschließend kullerte der Lehrerkopf durchs Bild.

Andere Filme zeigen, wie Böller in Richtung eines Chemielehrers geworfen werden oder wie ein Lateinlehrer mit einem Besen traktiert wird. Auch gibt es Fälle, in denen Pädagogen mit Pornomontagen lächerlich gemacht oder in Singlebörsen angepriesen wurden. Allein auf der Seite eines Videoportals finden sich hunderte Filmchen aus Deutschland, die Lehrer in misslichen Situationen zeigen.

"Viele Lehrer suchen heute im Internet angstvoll nach ihrem Namen, um auf mögliche Schülerscherze zu stoßen", sagt Almut Esselborn, Vorsitzende des Hamburger Philologenverbandes. Nach Meinung des Verbandes gibt es so gut wie keine weiterführende Schule, an der Internet-Mobbing nicht bekannt ist. Eine Mitschuld sieht Esselborn bei den Eltern, die immer stärkeren Druck ausüben.

Mittags nach Schulschluss kommt Deutsch-Lehrerin Esselborn oft kaum zum Durchatmen, zu Hause klingelt das Telefon, am Apparat: aufgebrachte Eltern. "Wenn sich nicht bald die Deutsch-Note unseres Kindes bessert, wird das Konsequenzen für Sie haben", bekommt die 59-jährige Lehrerin dann beispielsweise zu hören. Wenn Eltern bereits keinen Respekt mehr vor der pädagogischen Entscheidungsfreiheit der Lehrer hätten, färbe dies automatisch auf das Schülerverhalten ab.

"Lehrer haben ihren Wert total verloren", sagt der Hamburger Berufsschüler Garik Sarkisian. Sie könnten den "Lockeren" geben oder Schmähungen ignorieren, ein Rezept gibt es nach Ansicht des 19-jährigen Pennälers nicht gegen dieses Mobbing. In Pausen gingen die Schüler in den Computerräumen an die Rechner, stellten entsprechende Fotos oder Videos ins Netz. Dabei beteiligen sich bereits zehnjährige Schüler an dem neuen Sport "Lehrer im Netz mobben".

Während früher Lehrer mit Papierkügelchen beworfen wurden oder in Schülerzeitungen Spott über sich ergehen lassen mussten, sind die online gestellten Beleidigungen weit über den Schulhof hinaus publik. Kollegen und Vorgesetze können mit Internet-Suchmaschinen auf den betreffenden Lehrer stoßen - schnell ist ein Ruf ruiniert. "Durch diese besonders demütigende Form des Psychoterrors wird ein Klima der Angst unter Lehrern erzeugt. Das wird diesem gestressten Berufszweig noch sehr zu schaffen machen", sagt Christian Pfeiffer, Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen.

International wird dieses Mobbing im Internet "Cyberbullying" genannt. Dabei trifft es nicht in erster Linie Lehrer. Die meisten Opfer sind Mitschüler und hier vor allem Mädchen. Eine Umfrage der australischen "National Coalition against Bullying" fand 2004 heraus, dass von 13.000 befragten Mädchen (12 bis 15 Jahre) 42 Prozent bereits Opfer dieses Mobbings im Netz geworden sind. Bisher war dieses Phänomen vor allem in den angelsächsischen Ländern bekannt.

Der Philologenverband fordert nun von der Kultusministerkonferenz mehr Möglichkeiten für Lehrer, "gegebenenfalls auch Handys und Speichermedien mit kompromittierenden Inhalten sicherzustellen". Vor allem müsse auf die Betreiber der Internetportale eingewirkt werden. Der Bundesvorsitzende des Deutschen Philologenverbandes, Heinz-Peter Meidinger, sagt, dass viele Kollegen sich bisher nicht trauten zu reden. "Die bekannten Fälle sind nur die Spitze des Eisbergs."

(Georg Ismar, dpa)

Quelle: ntv.de

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