Dossier

Europa wächst Mayotte will ganz zu Frankreich

Europa bekommt voraussichtlich Zuwachs im Indischen Ozean. Die Bürger von Mayotte sollen darüber abstimmen, ob die Insel zwischen Madagaskar und Afrika als 101. Dpartement ganz in den französischen Staat integriert wird. Alle Inselpolitiker sind dafür. Sie hoffen auf ein Ergebnis wie 1976, als die Mayotter mit 98,83 Prozent gegen eine Unabhängigkeit von Frankreich votiert hatten. Viele Franzosen sind dagegen eher skeptisch.

Schon in den 70er Jahren hätte Frankreich nicht dulden dürfen, dass Mayotte aus der Inselgemeinschaft der Komoren ausschert, meint der Grünen-Vordenker Nol Mamre. Man solle Mayotte lieber in eine "international garantierte Komoren-Union" einbinden. "Die Komoren sind ein und dasselbe Volk mit einer Religion, dem Islam."

Unterstützt von der Afrikanischen Union verurteilte die Komoren-Regierung das Referendum auf Mayotte und fordert den Abzug der französischen "Kolonialisten". Doch nicht alle auf den Komoren denken so. Der Bürgermeister von Mtsangajou, Said Said Hamadi, plädiert vielmehr für eine "Wirtschaftsföderation" mit Mayotte und warnt die Franzosen vor Problemen einer Einbindung. "Welche Rolle haben die Kadis (islamischen Richter)? Bleibt die in Frankreich verbotene Polygamie in Mayotte erlaubt?", fragt er auf der Website malango-actualite.com.

Hoffnung auf Geld und Stabilität

Der UMP-Abgeordnete Didier Quentin sieht umgekehrt in dem Referendum eine Chance für Frankreichs Verhältnis zum Islam. Auf Mayotte seien die Kadis zu sozialen Vermittlern geworden, meint der Parteifreund von Präsident Nicolas Sarkozy. Frankreich solle diese Erfahrungen als Labor nutzen. Die Aufwertung zu einem Dpartement wirke zudem wie ein Katalysator für nötige Reformen.

Die Mayotter erhoffen sich als französisches Dpartement einen Geldsegen und Stabilität in einer Umwelt von Gewalt und Elend. Schon jetzt sichert Paris mit jährlich 635 Millionen Euro einen Lebensstandard, der zehnmal so hoch ist wie auf den Komoren. Die EU trägt 23 Millionen aus dem EU-Entwicklungsfonds 2008-2013 bei. Dabei liegt der Durchschnittslohn nur bei 63 Prozent des französischen Mindestlohnes. Als Dpartement bekäme Mayotte ab 2012 schrittweise das französische Sozialrecht. Allerdings sollen die Insulaner nicht die vollen Sätze der Hilfen erhalten.

Schon 2011 könnte Mayotte - derzeit noch französisches Überseegebiet mit Dpartement-Charakter - als "extremes Randgebiet" Teil der EU werden. Frankreich muss das allerdings beantragen. "Das Referendum ist für Brüssel eine interne Angelegenheit Frankreichs", erklärte ein EU-Sprecher. Nach Vertragsänderung würde die Insel aber voll ins EU-Recht einbezogen und bekäme Geld aus dem Strukturfonds. Die ebenfalls im Indischen Ozean gelegene Insel Runion bekommt als Dpartement 1,5 Milliarden Euro aus dem Strukturfonds (2007-2013).

Flüchtlingsströme sorgen für Probleme

Hilfe braucht Mayotte vor allem wegen des gewaltigen Zustroms von Armutsflüchtlingen. Jeden Tag kommen neue Migranten. Ihre Kwassa-Kwassa genannten Boote werden auf der Nachbarinsel Anjouan in Serie gebaut. 1974 hatte Anjouan noch zu 99,5 Prozent gegen Frankreich gestimmt. Als die Insel sich 1997 aus den Komoren löste und die Anbindung an Frankreich erklärte, lehnte Paris das ab.

Jetzt kommen die Bürger Anjouans illegal. 2008 wurden 256 Kwassa-Kwassas abgefangen und 16.040 Illegale aus Mayotte ausgewiesen, doch der Zustrom dauert an. Bei 25 bis 40 Passagieren, die je 200 Euro bezahlen, rentiere sich der Bau der Boote mit nur einer Überfahrt, rechnet das "Figaro Magazine" vor. Außerdem kümmern sich auf Mayotte soziale Einrichtungen und Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen um die Flüchtlinge.

Offiziell ist jeder vierte der 187.000 Mayotter ein Illegaler. Frauen kommen, um ihre Kinder auf dem Fleckchen Frankreich zur Welt zu bringen: Sie stellen 80 Prozent der Geburten im Kreißsaal der Inselhauptstadt. Zudem werden pro Tag drei Kinder von Einwanderern ausgesetzt, damit sie als "Waisen" ein besseres Leben bekommen.

"Man kann 50.000 Menschen weder ausweisen noch legalisieren", sagt der Inselpräfekt Denis Robin. Doch die Einwanderung schafft sozialen Sprengstoff. Viele Mayotter werfen den Ankömmlingen vor, ihnen die Jobs wegzunehmen. 40 Prozent der 15- bis 25-Jährigen nennen die Lage nach einer Ipsos-Umfrage "potenziell explosiv". Aber auch sie würden laut mayottehebdo.com mit großer Mehrheit für Frankreich stimmen.

Quelle: ntv.de, Hans-Hermann Nikolei, dpa

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