Medwedew besucht Obama "Neuanfang" mit Fallstricken
20.06.2010, 11:11 Uhr
Die Chemie stimmt. Doch auf Obama und Medwedew warten einige Probleme.
(Foto: picture alliance / dpa)
Seit die USA Anfang 2009 einen "Neustart" der Beziehungen mit Russland ausriefen, hat sich vieles zum Positiven gewendet. Doch es gibt immer noch gewaltige Differenzen.
Kremlchef Dmitri Medwedew scheint es in den USA zu gefallen. Gerade zwei Monate ist sein letzter Besuch her, und er dürfte Russlands Präsident in guter Erinnerung sein. Von einer "beeindruckenden Leistung" schwärmte das sonst akademisch-kühle Brookings-Institut in Washington über Medwedews dortigen Auftritt. Anlass für die Visite war der Atomgipfel von Barack Obama, mit dem der Mann aus Moskau scheinbar bestens kooperieren kann: Damals hatte der 44-Jährige sein "besonderes Vertrauensverhältnis" zu Obama mit der Ankündigung illustriert, beide Präsidenten wollten künftig Weltpolitik per SMS und E-Mail gestalten. Wenn Medwedew von Dienstag an in den USA unterwegs ist, kann ein guter Draht der beiden nicht schaden. Denn es warten auch Probleme der heikleren Art.
Kirgistan-Krise, atomare Abrüstung, aber auch um neue Technologien soll es gehen - fast schon mit thematischem Übergepäck reist Russlands Präsident an. Beinahe trotzig wirkt der erste Stopp des "Modernisierers" Medwedew: Silicon Valley in Kalifornien, jener Ort, der den ehrgeizigen Plänen für ein russisches High-Tech-Zentrum Pate steht. Erst vor kurzem hatten hingegen internationale Vertreter mächtiger Risikofonds dem Staatschef bei einem Treffen bei Moskau schonungslos die vielen Investitionshürden in seinem Land aufgezählt.
Washington wittert Geschäfte
Das Weiße Haus verkündet derweil stolz, in Silicon Valley könne der Russe "ein einzigartiges Zusammenspiel von Faktoren sehen, die dieses wichtige Zentrum des technischen Fortschritts und Unternehmergeistes hervorgebracht hat". Washington scheint Geschäfte zu wittern: "Präsident Obama freut sich, das nächste Treffen mit Präsident Medwedew zu nutzen, nach möglichen Wege größerer Kooperation bei Handeln, Investitionen und Innovationen zu suchen."
Nach dem Prager Abrüstungsabkommen wolle Russland den "Neustart" im bilateralen Verhältnis nun auf die Wirtschaft ausdehnen, sagte auch Russlands Außenminister Sergej Lawrow am Wochenende bei einem Forum in St. Petersburg. Dabei hofft das auf vielen Gebieten rückständige Riesenreich auch auf den Import von US-Technologie. Erstes Gemeinschaftsprojekt könnte die Entwicklung eines Transportflugzeugs sein, sagte Lawrow. Medwedew wolle in den USA auch über den Beitritt Russlands zur Welthandelsorganisation WTO sprechen, damit das größte Land der Erde attraktiver für den Weltmarkt werde. Die Verhandlungen ziehen sich seit Jahren nahezu ergebnislos hin.
Immer wieder "Neustart": "Erhebliche Schritte" seien in den vergangenen 18 Monaten getan worden, heißt es zufrieden aus dem Weißen Haus, nachdem das beiderseitige Verhältnis zum Ende der Amtszeit des damaligen Präsidenten George W. Bush auf dem schlimmsten Tiefpunkt seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 gesackt war. Gerne verweist man auf den vor zwei Monaten in Prag unterzeichneten atomaren Abrüstungsvertrag sowie auf neue Sanktionen gegen Nordkorea, die gemeinsamen Positionen im Streit um Irans Atomprogramm und auf eine frische Kommission, die die russisch-amerikanische Zusammenarbeit in vielen Bereichen "dramatisch verstärkt" habe.
Vorsichtige Töne aus Washington
Doch es gibt weiterhin nicht minder gewaltige Differenzen. Dem wenige Tage vor dem Atomgipfel in Washington unterzeichneten START- Abrüstungsvertrag haben die Parlamente in beiden Ländern immer noch nicht zugestimmt. Außenminister Lawrow betont, zuvor müssten die US-Pläne einer Raketenabwehr in Europa geklärt werden. Auch seine US-Kollegin Hillary Clinton sieht hier noch "Diskussionsbedarf".
Medwedews Treffen mit Obama am Vorabend der G8- und G-20-Gipfel in Toronto enthält überdies durchaus Konfliktpotenzial. Offen kritisierte Medwedew vor wenigen Tagen die Pläne Washingtons zu schärferen Sanktionen gegen den Iran als "nicht abgestimmt" und "schädlich". Und unverhohlen warnte der Kremlchef die USA auch davor, die Unruhen in Kirgistan zur längeren Anwesenheit von US-Truppen in "Russlands Hinterhof" Zentralasien zu nutzen. Der 2002 von Washington zum Anti-Terrorkampf in Afghanistan bezogene Stützpunkt Manas in Kirgistan sollte "nicht ewig bestehenbleiben", sagte Medwedew.
Das ist eine potenzielle Bredouille für die Obama-Regierung, die am Hindukusch im Juli nächsten Jahres mit dem Truppenabzug beginnen will. Kein Wunder, dass Töne aus Washington vorsichtig ausfallen. "Der Konsens hier ist, dass die USA, Russland und andere Länder das auf internationaler Ebene angehen", meinte vor wenigen Tagen ein hoher US-Regierungsbeamter.
Quelle: ntv.de, Wolfgang Jung und Frank Brandmaier, dpa