Blick in die Röhre Ostsee-Pipeline, Nabucco und Co.
06.01.2009, 14:02 UhrDer Gas-Streit zwischen Russland und der Ukraine hat Deutschland erreicht, die Lieferungen sind deutlich gesunken. Wie groß ist die deutsche Abhängigkeit von russischem Gas, was tut Deutschland, um diese Abhängigkeit zu verringern? Fragen und Antworten:
Wie kommt das russische Gas nach Europa?
Europa bezieht ein Viertel seines Erdgases vom russischen Gazprom-Konzern. Etwa 80 Prozent der Lieferung wird durch die Ukraine transportiert. Im aktuellen Streit wirft Gazprom der Ukraine vor, illegal für Europa bestimmtes Gas abzuzapfen. Deutschland und Polen beziehen russisches Gas auch über die Jamal-Pipeline, die durch Weißrussland verläuft. Die Transportkapazität dieser Leitung beträgt aber nur ein Viertel der ukrainischen Leitung.
Die Jamal-Pipeline verläuft von der gleichnamigen Halbinsel in Nordrussland nach Frankfurt (Oder) und hat eine Länge von über 4000 Kilometern. Die Transportkapazität der Leitung soll voraussichtlich bis 2010 auf 67 Milliarden Kubikmeter pro Jahr mehr als verdoppelt werden. Die dritte Exportstrecke ist die Blue-Stream-Pipeline. Sie verläuft durch das Schwarze Meer in die Türkei. Wegen des Gasstreits mit der Ukraine hat Gazprom die Exporte über Blue-Stream und Jamal erhöht.
Welche weiteren Pipelines sind im Bau?
Deutschland will sich gleichzeitig von den Transitleitungen und von russischem Erdgas unabhängiger machen. Das erste Ziel soll mit dem Bau der Ostsee-Pipeline erreicht werden.
Die mehr als sieben Milliarden Euro teure Leitung soll bis zu 55 Milliarden Kubikmeter Gas durch die Ostsee vom russischen Wyborg nach Greifswald transportieren. Dahinter steht das Nord-Stream-Konsortium. Gazprom hält mit 51 Prozent die Mehrheit an der Nord-Stream AG. Die BASF-Tochter Wintershall und Eon Ruhrgas sind derzeit mit jeweils 20 Prozent beteiligt. Seit Ende 2007 hält die niederländische Erdgasgesellschaft Gasunie 9 Prozent der Anteile. Aufsichtsratschef ist Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder.
Die Ostsee-Pipeline soll die Abhängigkeit von Transitländern wie der Ukraine beim russischen Gasexport verringern. Mit dem Bau der Leitung wurde im Dezember 2005 begonnen, sie soll über 1200 Kilometer durch die Ostsee führen. Gebaut werden zwei Leitungsstränge; der erste soll 2011 fertig sein, der zweite ein Jahr später.
Das zweite Ziel - größere Unabhängigkeit von russischem Erdgas - soll mit der Nabucco-Pipeline erreicht werden. Nabucco ist ein acht Milliarden Euro teures Pipeline-Projekt, dessen Initiator der österreichische Öl- und Gaskonzern OMV war. Mittlerweile stehen insgesamt sechs Unternehmen aus Deutschland, Österreich, der Türkei, Bulgarien, Ungarn und Rumänien zu gleichen Teilen hinter Nabucco. Deutschland ist über RWE beteiligt. Geplant ist, dass 2013 Gas aus dem den kaspischen Erdgasvorkommen nach Österreich strömt. Bis 2020 könnte dann bis zu 31 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr durch die 3300 Kilometer lange Röhre transportiert werden. Perspektivisch ermöglicht Nabucco auch einen Anschluss an iranische, ägyptische und irakische Gasquellen.
Was die Ostsee-Pipeline für Deutschland sind die Galsi- und die Transmed-Pipeline für Italien: Die Galsi-Pipeline soll von Algerien nach Italien verlaufen und ab 2012 jährlich bis zu zehn Milliarden Kubikmeter Gas transportieren. Transmed existiert bereits und hat eine Kapazität von 27 Milliarden Kubikmeter pro Jahr. Die von Algerien über Tunesien nach Italien verlaufende Leitung soll um 6,5 Milliarden Kubikmeter ausgebaut werden. Die Medgaz-Pipeline soll ab Mitte 2009 Gas von Algerien nach Spanien transportieren und hat eine Kapazität von acht Milliarden Kubikmeter pro Jahr.
Wie groß ist die deutsche Abhängigkeit von russischem Erdgas?
Nach Angaben von Eon Ruhrgas kam das deutsche Erdgasaufkommen im Jahr 2007 zu 15 Prozent aus dem Inland. 48 Prozent kamen aus Norwegen, den Niederlanden, Dänemark und Großbritannien, die restlichen 37 Prozent aus Russland.
Gazprom lieferte 2007 knapp 154 Milliarden Kubikmeter Gas nach Europa. Deutschland war nach Angaben von 2006 mit etwa 34 Milliarden Kubikmeter der mit Abstand größte Abnehmer von russischem Gas im Ausland, gefolgt von Italien (22 Milliarden), der Türkei (knapp 20 Milliarden), Frankreich (etwa 10 Milliarden) und Ungarn (8,5 Milliarden).
Zum Vergleich: 2007 verbrauchte Deutschland 88,3 Milliarden Kubikmeter Erdgas. Im selben Jahr hatte Deutschland 218 Milliarden Kubikmeter Erdgas Reserven.
Eon betont, dass Russland 35 Jahre lang - seit 1973 - ein verlässlicher Partner gewesen sei. Dennoch wird der russischen Regierung immer wieder vorgeworfen, sie nutze Gas und Öl als politisches Druckmittel. Auf der anderen Seite ist natürlich auch Russland auf Abnehmer angewiesen - bislang kann Gas in großem Stil nur durch Pipelines geliefert werden: 2007 wurden international rund 920 Milliarden Kubikmeter Erdgas gehandelt; ein Viertel davon als verflüssigtes Erdgas.
Welche Länder fördern Erdgas?
Russland ist das mit Abstand wichtigste Erdgas-Förderland, auf den Plätzen zwei und drei folgen Iran und Katar. Diese drei Länder verfügen zusammen über mehr als die Hälfte der weltweiten Erdgasreserven.
Insgesamt ist die Nähe zu Russland für Europa kein Grund, sich zu beschweren: "Der Europäische Markt hat dank Russland und Nordafrika Zugang zu ca. 45 Prozent des weltweiten Gesamtpotenzials", schreibt die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in ihrem Energiebericht 2007. "Damit verfügt der Europäische Erdgasmarkt über eine komfortable Position im Vergleich zu anderen Märkten, insbesondere zu Nordamerika."
Wie mächtig ist Gazprom?
Der russische Konzern ist der weltgrößte Erdgasproduzent. Das vom Kreml kontrollierte Unternehmen kommt für etwa ein Fünftel der russischen Haushaltseinnahmen auf. Im Zuge der weltweiten Finanzkrise verlor Gazprom aber etwa 76 Prozent seines ursprünglichen Marktwertes. Wegen der gesunkenen Rohstoffpreise sinken zudem die Einnahmen des russischen Staates: Im kommenden Jahr rechnet Russland erstmals seit zehn Jahren mit einem Milliardendefizit.
Vor der Finanzkrise hatte Gazprom angekündigt, dass weltweit größte Unternehmen werden zu wollen. Inzwischen ist der Konzern zum Bittsteller um Milliardenhilfen bei der russischen Regierung geworden, um seine Verbindlichkeiten zu bezahlen.
Was wird aus der geplanten "Gas-OPEC"?
Das ist ungewiss. Im November sagte der russische Regierungschef Wladimir Putin, Russland habe nicht die Absicht, "auch nur einen Teil seiner Entscheidungsfreiheit abzutreten". Ein Abkommen zur Gründung eines Gas-Kartells werde man nicht unterzeichnen, die Sorge der Gaskunden in Europa vor Absprachen über Liefermengen und Preise sei unbegründet.
Dennoch verkündeten die Vertreter von einem guten Dutzend gasexportierender Nationen am 23. Dezember in Moskau die Gründung eines Gas-Bündnisses. Sitz der Organisation soll Doha werden, Hauptstadt des Emirats Katar.
Preisabsprachen zwischen Gazprom, den Gas-Scheichs, dem Iran und Algerien gelten derzeit als wenig sinnvoll. Eine gemeinsame Preispolitik wäre erst möglich, wenn verflüssigtes Erdgas (LNG) in großem Umfang über Tanker weltweit verschifft werden kann. Allerdings investieren etwa Frankreich, Spanien und Großbritannien in LNG-Häfen, um sich von Pipeline-Lieferungen unabhängiger zu machen. Auch Deutschland plant an der Nordseeküste den Bau eines solchen Terminals. Ein Ausbau der weltweiten LNG-Infrastruktur könnte zwar die Abhängigkeit von Russland verringern, aber die Macht der Gas-OPEC erhöhen.
Wird Gas teurer?
Ja - auch ohne Ölpreisbindung. Gazprom hat für dieses Jahr zwar sinkende Gaspreise für Westeuropa angekündigt. Aber: "Die notwendigen Ausgaben für die Entwicklung von Gasfeldern steigen stark", sagte Putin am 23. Dezember. "Das bedeutet natürlich, dass trotz aller gegenwärtigen Finanzprobleme die Ära billiger Energievorkommen, des billigen Gases, vorbei ist."
Zu guter Letzt ist auch Gas nicht unendlich: Nach Berechnungen der Association for the Study of Peak Oil and Gas (ASPO) dürfte die weltweite Gasförderung etwa 2025 das Fördermaximum erreichen. ASPO Deutschland geht davon aus, dass "bereits wesentlich früher" Versorgungsengpässe auftreten werden.
Zusammengestellt von Hubertus Volmer
Quelle: ntv.de