Juristische Grenzen fließen Präzedenzfall Sterbehilfe
19.11.2007, 18:50 UhrJuristentage haben sich damit beschäftigt, Ethik-Kommissionen haben Vorschläge formuliert, Expertenkongresse Empfehlungen ausgesprochen. Dennoch, das Thema Sterbehilfe bleibt hoch umstritten, eine juristische Regelung ist nicht in Sicht. Nicht ausgeschlossen, dass nun die Sterbehilfe-Organisation Dignitate eine höchstrichterliche Entscheidung erzwingt: Der umstrittene Verein will in Deutschland einen Präzedenzfall für einen Freitod unter Aufsicht eines Helfers schaffen.
Nach dem Plan der zur Schweizer Dignitas gehörenden Organisation soll ein pensionierter Mediziner einem Schwerkranken beim Suizid helfen. Dignitate will ein Schlupfloch zwischen Strafrecht und ärztlichem Standesrecht nutzen. Denn Beihilfe zum Suizid widerspricht dem ärztlichen Ethos. Die Approbation kann weg sein, wenn ein Arzt einem Lebensmüden das tödliche Gift reicht. Was der Ruheständler, den Dignitate gefunden haben will, nicht mehr fürchten muss.
Rechtliche Grauzone
Doch damit fangen die juristischen Schwierigkeiten erst an. Denn was gemeinhin unter dem Stichwort "Sterbehilfe" diskutiert wird, ist in einem komplizierten Paragrafengeflecht angesiedelt, und die Linie zwischen Gefängnis und Straflosigkeit ist schmal. Klar ist nur eines: Tötung auf Verlangen ist strafbar, auch wenn sich der Patient den Tod noch so sehr wünscht. Der Arzt, der Bruder, die Tochter - niemand darf dem Schwerkranken die tödliche Spritze verabreichen.
Doch jenseits dieser Konstellation werden die Grenzen fließend. Die Selbsttötung, so lernen Jurastudenten spätestens im dritten Semester, ist straflos, was für den fehlgeschlagenen Suizid, vor allem aber für die Beihilfe zur Selbsttötung wichtig ist: Wenn es keine strafbare "Haupttat" gibt, dann kann auch der Helfer nicht bestraft werden - also auch der nicht, der dem Patienten das Fläschchen mit der tödlichen Dosis auf den Nachttisch stellt.
Zumutbare Hilfeleistung
Womit die Diskussion sich auf den Paragrafen 323 c konzentriert, die unterlassene Hilfeleistung. Danach muss jeder bei "Unglücksfällen" einen "zumutbaren" Rettungsversuch unternehmen. Wer die Hände in den Schoß legt, kann mit bis zu einem Jahr Haft bestraft werden.
Zwar streiten Juristen darüber, ob es dem Retter wirklich "zumutbar" ist, einen Menschen am Leben zu erhalten, der klaren Sinnes sterben will. Bisher hat sich der Bundesgerichtshof im Zweifel für das Leben entschieden. In der Kürze der Zeit könne der Retter ohnehin nicht ermessen, ob jemand vollkommen freiwillig oder doch aus Verzweiflung seinem Leben ein Ende mache.
Dennoch ist sich der Münchner Rechtsanwalt Wolfgang Putz sicher: "Ein geeigneter Fall lässt die Unterstützung des Sterbewilligen von A bis Z zu." Allerdings sind geeignete Fälle selten. Voraussetzung dafür ist dem Anwalt zufolge nämlich ein Mensch, der aus völlig freiem und eigenverantwortlichem Willen aus dem Leben scheiden will. Von einem solchen "Bilanzsuizid" gehe die Wissenschaft aber nur in vielleicht zwei von hundert Fällen aus - in der ganz überwiegenden Zahl treibe die Verzweiflung den Lebensmüden in den Tod.
Weitere juristische Fallstricke lauern im Drogenstrafrecht. In der Schweiz setzt Dignitas das Betäubungsmittel Natrium-Pentobarbital ein, das anerkanntermaßen wirksamste Mittel für den schmerzlosen Freitod. In Deutschland ist das legal nicht zu haben. Das Verwaltungsgericht Köln versagte vergangenes Jahr dem Mann einer querschnittsgelähmten Frau das Recht auf Erwerb einer tödlichen Dosis.
Neue Fakten schaffen
Sollte Dignitate in Deutschland tatsächlich einen Präzedenzfall schaffen, dann würden wohl drei, vier Jahre vergehen, bis die Sache beim Bundesgerichtshof angelangt ist. Bis dahin könnten auch politisch die Weichen neu gestellt sein, etwa falls die geschäftsmäßige Sterbehilfe in Deutschland unter Strafe gestellt wird, wie kürzlich die Justizminister von Union und FDP forderten.
Nicht in Sicht ist dagegen die Realisierung eines Vorschlags, den der Deutsche Juristentag vergangenes Jahr in Stuttgart formulierte: Die Lockerung des ärztlichen Standesrechts, um Medizinern in Extremfällen die Sterbebegleitung zu erlauben. Dabei ist der erfahrene Arztrechtler Putz überzeugt: "Bei den Ärzten wäre die Unterstützung der Selbsttötung am besten aufgehoben."
Von Wolfgang Janisch, dpa
Quelle: ntv.de