Gesundheitlich stark angeschlagen Regierung droht der Kollaps
17.06.2010, 07:27 Uhr
Diese Gesichter sind alles andere als unbeschwert.
(Foto: picture alliance / dpa)
Die schwarz-gelbe Koalition hält mindestens noch bis zur Wahl des Bundespräsidenten. Bis dahin verschieben CDU, CSU und FDP ihre zahlreichen Baustellen. In der Gesundheitspolitik sieht es nicht nach einer Einigung aus, nicht mal eine Gesichtswahrung scheint derzeit möglich. Das Bauernopfer könnte Rösler heißen - aber nicht vor dem 30. Juni.
Die schwarz-gelbe Regierungskoalition ist schwer angeschlagen. Umfallen wird sie bis zur Wahl des Bundespräsidenten am 30. Juni jedoch kaum. Alle streitrelevanten Themen wurden vom Koalitionsausschuss der Spitzenvertreter von CDU, CSU und FDP auf unbestimmte Zeit verschoben: In der Diskussion über die Aussetzung der Wehrpflicht dürfen bis über den Sommer hinaus Argumente gesammelt werden. Kanzlerin Angela Merkel erlaubte ihrem Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, sich bis September Gedanken in alle Richtungen zu machen. Das verschafft Zeit.
Mehr Zeit bekam auch Umweltminister Norbert Röttgen. Das Energiekonzept der Bundesregierung wurde von Mitte Juli auf die Zeit nach der parlamentarischen Sommerpause verschoben. Auch der Streit um die steuerliche Mehrbelastung von Spitzenverdienern ist auf Anfang Juli - ebenfalls nach der Präsidentenwahl - verschoben worden. Erst dann will das Kabinett den Haushaltsentwurf für 2011 vorlegen.
Klausurtagung den Zahn gezogen
Bereits an diesem Wochenende hätte eine bedeutsame Entscheidung fallen sollen: die künftige Finanzierung des Gesundheitssystems. In der FDP-Spitze hatte es am Montag noch geheißen, von Verhandlungen über die Gesundheitsreform am Wochenende "hängt das Schicksal der Koalition ab". Das ist jetzt offenbar nicht mehr der Fall, denn das Treffen von "hochrangigen Vertretern der drei Koalitionsparteien" wurde auf ein "Treffen von Fachpolitikern" herabgestuft. Kurzfristige Entscheidungen sind also nicht zu erwarten.

In der Kanzlerin hat Rösler eine prominente Fürsprecherin. Im Zweifelsfall muss Merkel mit der CSU brechen.
(Foto: picture alliance / dpa)
Diskutiert werden darf aber weiterhin. So stellte CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt noch einmal klar, dass es mit dem FDP-Modell einer einkommensunabhängigen Gesundheitsprämie ganz sicher nichts mehr werden wird. "Das Prämienmodell ist nicht mehr Gegenstand der Diskussion in der Koalition", sagte Dobrindt der "Rheinischen Post". Rösler hatte jedoch sein Schicksal als Gesundheitsminister mit der Einführung eben dieser Zusatzprämie für die Versicherten verknüpft.
Beistand erhält Rösler in dieser Frage von Merkel. Sollte die CDU-Chefin ihre Position beibehalten, müsste sie mit dem Unionspartner CSU brechen. Anderenfalls scheint ein Rücktritt Röslers unumgänglich. Damit würde die FDP einen weiteren schweren Dämpfer einstecken müssen. Völlig unklar ist, wie die Fachpolitiker von Union und FDP die bisher unvereinbaren Positionen für beide Seiten gesichtswahrend miteinander in Einklang bringen wollen.
Im Koalitionsvertrag steht zu diesem Streitpunkt lediglich: "Langfristig wird das bestehende Ausgleichssystem überführt in eine Ordnung mit mehr Beitragsautonomie, regionalen Differenzierungsmöglichkeiten und einkommensunabhängigen Arbeitnehmerbeiträgen, die sozial ausgeglichen werden." Für die FDP ist das eine Pauschalprämie, die die CSU nun definitiv ausgeschlossen hat.
Jeder Versicherte zahlt 360 Euro extra
Seit Wochen herrscht besonders zwischen CSU und FDP ein Streit darüber, wie das Milliarden-Defizit im Gesundheitsbereich in den Griff zu bekommen ist. Rösler hatte vor kurzem ein abgespecktes Modell vorgelegt, das mit einer Prämie von zunächst etwa 30 Euro pro Versichertem im Monat startet. Diesen Betrag sollten nach Röslers Willen alle 50 Millionen Kassenmitglieder von 2011 an zusätzlich zum Beitrag zahlen. Die CSU machte daraufhin unmissverständlich klar, dass sie eine solche "Kopfpauschale" und Beitragserhöhungen nicht mitträgt. So ein Prämienmodell, bei dem jeder Versicherte von der Krankenschwester bis zum Chefarzt denselben Pauschalbetrag zahlt, sei ungerecht.
Kassen vor dem finanziellen Ruin
Die Regierung ist unter Handlungsdruck: Für 2011 droht der Gesetzlichen Krankenversicherung ein Rekorddefizit von bis zu elf Milliarden Euro - ob die Lücke nur mit Ausgabenkürzungen geschlossen werden kann, ist fragwürdig. Bis zum Sommer will die Koalition ein tragfähiges Konzept vorlegen. Weitgehend einig ist man sich bisher nur in wenigen Punkten, etwa bei der Senkung der Ausgaben für Arzneimittel.
Quelle: ntv.de, mit dpa/AFP/rts