Dossier

Synonym für Ausländerhass Rostock Lichtenhagen

Ende August 1992 herrscht am Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen Belagerungszustand: Hunderte hasserfüllte Jugendliche und Rechtsradikale greifen die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber mit Molotow-Cocktails, Steinen und Feuerwerkskörpern an. Ein Mob von mehr als tausend Schaulustigen feuert sie dabei an. Die im Haus lebenden Vietnamesen flüchten in Todesangst auf das Dach. Die Polizei bekommt die Lage erst nach Tagen in den Griff. Die Bilder der fremdenfeindlichen Krawalle vom 22. bis 25. August gehen um die Welt. Rostock wird wie Hoyerswerda oder Solingen zum Synonym für ein Deutschland, in dem Ausländer um ihr Leben fürchten müssen. Bis heute kämpft die Hansestadt darum, ihr Image geradezurücken.

Zeichen setzen will unter anderem die Initiative "Bunt statt braun". Sie wurde 1998 gegründet, als Reaktion auf eine geplante Wahlkampfveranstaltung der NPD vor dem Sonnenblumenhaus, das seinen Namen von einem riesigen Mosaik an der Fassade hat. Seitdem setzt sie sich für das Miteinander von Deutschen und Migranten ein. Rund 7200 Ausländer leben in Rostock, davon gut 830 Vietnamesen. Nach Ansicht von Geschäftsführerin Lena Fassnacht wurde schon viel erreicht: "In Rostock gibt es sehr viele Menschen, die beim Thema Ausländerfeindlichkeit sensibilisiert und engagiert sind." Fassnacht sieht einen breiten gesellschaftlichen Konsens in Verwaltung, Wirtschaft und Vereinen im Kampf gegen Rechts.

Solche Initiativen scheinen außerhalb Mecklenburg-Vorpommerns die Bilder von 1992 jedoch nicht verdrängen zu können. "Wir müssen heute noch Vorurteile ausräumen, bevor wir die Vorzüge des Landes vermitteln können", bestätigt Tobias Woitendorf, Sprecher des Landestourismusverbandes. "Zumal auch immer wieder Zwischenfälle passieren, wie zuletzt Mitte Juli, als in Schwerin eine Gruppe französischer Jugendlicher attackiert wurde." Gerade im Ausland werde Rostock wegen der Ausschreitungen in Lichtenhagen immer noch negativ gesehen. Auf dem G8-Gipfel im Juni in Heiligendamm waren zwar auch schöne Kulissen und zufriedene Staatschefs zu sehen, doch erneut gingen Bilder der Gewalt aus Rostock um die Welt, als bei Randalen von Globalisierungsgegnern rund 1000 Menschen verletzt wurden.

Die gebürtige Vietnamesin Phuong Kollat hat das Geschehen 1992 hautnah mitbekommen. Sie hatte zehn Jahre lang im Sonnenblumenhaus gelebt, 1992 wohnte sie direkt gegenüber. "Die Szenerie mit Feuer und Rauch erinnerte mich an den Vietnamkrieg, den ich als Kind erlebt habe." Erst zwei Tage später traute sie sich in das verwüstete Haus. "Alles war verkohlt, bis in die siebente Etage hinauf." Viele ihrer vietnamesischen Freunde kehrten nach 1992 in ihre Heimat zurück, die meisten blieben jedoch. "Heute fühlen sich die Vietnamesen wieder wohl und gut aufgehoben in Rostock", ist sich Kollat sicher.

Auch Rostocks Ausländerbeauftragter seit 1991, Wolfgang Richter, war bei den Übergriffen mitten im Geschehen. Millionen Menschen sahen ihn im Fernsehen, als er im Sonnenblumenhaus verzweifelt die Situation schilderte. "Das Haus brannte, die Angreifer drangen ins Haus. Wir versuchten, mit etwa 150 Menschen aufs Dach zu flüchten." Seine Gefühle damals beschreibt er als Mischung aus Zorn und Todesangst. "Im Nachhinein habe ich gemerkt: Du hättest dabei auch draufgehen können."

Die aktuelle Situation in Rostock ist laut Richter nicht mehr mit 1992 zu vergleichen, auch weil die Zentrale Aufnahmestelle (ZAST) nicht mehr da ist. "Lichtenhagen war ein völlig ungeeigneter Ort für die ZAST. Über Wochen hatte sich dort ein Pulverfass aufgebaut." Mit Kontinuität und langem Atem sei seitdem Integrationsarbeit geleistet worden. "Was aber nicht heißt, dass es Fremdenfeindlichkeit und Rassismus nicht mehr gibt, das zeigt sich auch an den Wahlergebnissen für die NPD."

Im Sonnenblumenhaus leben heute vietnamesische Familien zusammen mit deutschen und anderen Nachbarn. Daneben gibt es Arztpraxen, einen Nachhilfezirkel und eine Klavierschule. Das Wohnungsbauunternehmen Wiro hatte das Haus Anfang 1993 gekauft und in kürzester Zeit komplett saniert. Seitdem gab es laut Wiro-Sprecherin Britt Serwatka keinerlei ausländerfeindliche Zwischenfälle.

Von Axel Büssem, dpa

Quelle: ntv.de

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