Neues Museum in Sachsenhausen Sammlung des Unfassbaren
28.05.2008, 10:26 UhrDie Gedenkstätte Sachsenhausen will mit einer neuen Ausstellung die NS-Geschichte des Lagers in Kurzfassung zeigen. Im Kontext des Ortes ein gelungener Versuch, der doch nicht die ganze Breite der Verbrechen dokumentieren kann. Dennoch ist die Ausstellung unbedingt eine Reise wert.
Mit der Leichenkarre wurden die Toten vom Gebäude der Pathologie zum Krematorium gebracht.
Wer an einem trüben Frühlings-Tag durch das Haupttor das Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Sachsenhausen betritt, den empfängt eine Gedenkstätte, wie sie authentischer kaum sein könnte. Der wolkenverhangene Himmel transportiert eine Stimmung, die der Bedeutung dieses Ortes angemessen ist. Der Besucher betritt ein weitläufiges tristes Gelände. Es öffnet sich ein weites Feld. An den Seiten begrenzen hohe Mauern, Stacheldraht und Wachtürme das Areal. Am Horizont verjüngen sich die Mauern zu einem abschließenden Turm. Dahinter folgt die Realität von modernen Einfamilienhäusern. Es gibt kaum einen Ort unter den Stätten der Erinnerung an die nationalsozialistischen Greueltaten, die alleine durch ihre Beschaffenheit und Monumentalität eine derartig anschauliche Erinnerung an die Ausmaße des Verbrechens vermitteln können.
Mit der vor kurzem eröffneten Ausstellung in einer der wenigen verbliebenen Baracken auf dem Gelände soll eine Brücke geschlagen werden zwischen den verschiedenen Orten des Gedenkens in Sachsenhausen. In der ehemaligen Häftlingsküche werden dem Besucher die verschiedenen Stationen der nationalsozialistischen Epoche des Lagers veranschaulicht. Die Gedenkstätte Sachsenhausen untergliedert sich in insgesamt 13 Dauerausstellungen, von denen elf bereits fertig gestellt sind. Sie an einem Tag alle zu betrachten ist dem Besucher kaum möglich. Daher, und weil die Gedenkstätte zum Pflichtprogramm zahlreicher Schulklassen aus dem In- und Ausland gehört, versucht das Museum in der Häftlingsküche eine Zusammenfassung der Geschichte des Lagers zu geben, mit einigen der unzähligen grausamen Details dieses Ortes.
Appell bis zum Tod
Die Ausstellung in der Häftlingsküche versucht "einen kompakten Überblick über die Geschichte des KZ Sachsenhausen zu geben", so Stiftungsdirektor Günter Morsch. Ein schwieriger Versuch, der den Kuratoren dennoch gut gelungen ist. Anhand einer Zeitleiste wird der Besucher durch die Stationen vom Aufbau des Lagers über die Anfänge der Judenverfolgung und die planmäßige Ermordung sowjetischer Kriegsgefangener bis hin zu den Todesmärschen nach der Auflösung des Lagers geführt. Mobiliar aus den Häftlingsbaracken ermöglicht Einblicke in den Alltag der Insassen, den Tagesablauf und die unmenschlichen Bedingungen, unter denen sie härtester Arbeit nachgehen und gleichzeitig dahinvegetieren mussten und die Ein Prügelbock aus dem Zellenbau zeigt die brutalen Strafen der SS-Schergen, die willkürlich oder bei kleinsten Vergehen über die Gefangenen verhängt wurden.
Eine Leichenkarre dokumentiert die Allgegenwart des Todes. Ein Leichenträgerkommando von Häftlingen musste die Toten aus den Baracken in die Keller der Pathologie bringen. Von dort wurden sie mit dieser Karre in die Krematorien geschafft. Dahinter ist ein Bild eines Appells von Januar 1940 zu sehen. Bei eisiger Kälte ließ Lagerführer Rudolf Höß, der spätere Kommandant des KZ Auschwitz, die Häftlinge den ganzen Tag auf dem Platz stehen. Gegenüber von Wachturm A beobachtete Höß das Zusammenbrechen und den Tod zahlreicher Gefangener. Jegliche Hilfe war verboten. Bis zum nächsten Morgen waren 140 der Appellstehenden erfroren. Im Januar 1940 verzeichnete die Lagerregistratur den Tod von 700 Menschen. Die höchste Sterblichkeit der Geschichte Sachsenhausens bis dahin.
Das Ende kam für Sowjet-Gefangene ohne Ankündigung
Blick von der MG-Kanzel des Wachturms A über dem Haupttor auf den Appellplatz. Foto: Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten
Nächste Station ist der Massenmord an sowjetischen Kriegsgefangenen im September 1941. Das Nazi-Regime ließ politische Funktionäre und jüdische Soldaten aus den Massen an Kriegsgefangenen, die zu Beginn des Russland-Feldzuges gemacht wurden, aussortieren und brachte sie in Lager wie Sachsenhausen. Sie standen ganz unten in der Häftlingshierarchie der Nazis und erlebten die schlimmsten Misshandlungen. Bereits im Herbst 1941 begann die systematische Ermordung der Soldaten. So wurde innerhalb von zehn Wochen mit fast industrieller Effektivität das Leben von 10.000 Kriegsgefangenen ausgelöscht. In der Mehrzahl wurden sie durch eine eigens entwickelte Genickschussanlage getötet. Die Gefangenen mussten sich vor eine Messlatte stellen. Im Nebenzimmer stand ein Mörder der SS und schoss durch eine Lücke in der Wand den ahnungslosen Gefangenen ins Genick. Mehr als 30 Schergen Hitlers waren an der wochenlangen Mordaktion beteiligt.
Die Grausamkeit des Lagers und der SS-Männer steigerte sich wie ein Stakkato zum Verlauf des Krieges. Ideologisch unterstützt wurde das Morden aus dem Reichssicherheitshauptamt in Berlin, wo der Takt der Vernichtung vorgegeben wurde. Im Februar 1945 wurden bei der Auflösung des Außenlagers Lieberose tausende gehunfähige Gefangene ermordet. Dann mussten die jüdischen Häftlinge den 200 Kilometer langen Fußmarsch nach Sachsenhausen antreten. Nach der Ankunft wurden erneut Gefangene selektiert und von einem SS-Sonderkommando erschossen. Angesichts der unabwendbaren Niederlage des Reiches steigerte sich die Brutalität und Gnadenlosigkeit der SS.
Fehlende Grundlagen über die NS-Herrschaft
Zu der Ausstellung mit zahlreichen eindrucksvollen Exponaten gehören auch ein Lehrsaal mit 14 Computerarbeitsplätzen und ein Kino, in dem ein eigens produzierter Film im 30-Minuten-Takt läuft. Mittels neuester Techniken sollen hier Grundlagen vermittelt werden. "Wir machen zunehmend die Erfahrung, dass wir im Rahmen von Führungen ein Drittel der zur Verfügung stehenden Zeit damit verbringen, grundlegende Fakten über die nationalsozialistische Herrschaft zu vermitteln", erklärt Prof. Dr. Morsch das Anliegen des Films.
Das Konzentrationslager Sachsenhausen war nicht irgendein Lager im nationalsozialistischen Vernichtungssystem. Es war das Modell für die Unterdrückung und Tötung der politischen Gegner, unliebsamen Elementen und der aus rassistischen Gründen Verfolgten. Dazu gehörten neben den Juden auch Sinti und Roma, Homosexuelle, sogenannte Kriegsdienstverweigerer, wie Zeugen Jehovas und später zahlreiche Widerstandskämpfer und Amtspersonen aus den besetzten Ländern des europäischen Auslands.
Lager mit Modellcharakter
Das Lager entstand 1936 aus der Besatzung des aufgelösten KZ Esterwegen. Es wurde generalstabsmäßig von der SS geplant und aufgebaut durch die Häftlinge, zu diesem Zeitpunkt noch in der Mehrheit politische Gegner des Systems. Der Grundriss des Lagers zeigt die menschenverachtende Logik, die dem Gedankengut der SS innewohnte. Als ein Dreieck angelegt, konnten die Außenmauern des Lagers von nur wenigen Türmen bewacht werden. Im Inneren waren, nach strengem System sortiert, Baracken aufgebaut, die alle, bis auf wenige Funktionsbaracken, denselben Standard an minimalsten menschlichen Bedürfnissen erfüllten. Zum Leben meist zu wenig und zum Sterben oft zu viel.
Häftlinge bei der Arbeit im sogenannten Klinkerwerk. Hier wurden die Ziegel für den Bauwahn der Nazis hergestellt. Foto: Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten
Zu dem Lager gesellten sich zahlreiche funktionale Einrichtungen des SS-Systems. Oranienburg war so etwas wie ein Zentrum des schwarzen Ordens, damals gerne auch "Hauptstadt der SS" genannt. Hitlers fanatischste und willfährigste Helfer unterhielten ihr administratives Zentrum in der Kleinstadt nördlich von Berlin. Neben dem KZ Sachsenhausen war hier die Inspektion der Konzentrationslager angesiedelt. Von hier aus wurden alle KZs im deutschen Machtbereich verwaltet. Hier wurden die Lebensbedingungen der Häftlinge bestimmt, über Zwangsarbeit und Strafen entschieden, deren Vernichtung mitorganisiert und die medizinischen Experimente koordiniert und ausgewertet. In den riesigen SS-Kasernen rund um das Lager wurden unter anderem die Wachmannschaften für die Vernichtungslager im Osten Europas, die sogenannten Totenkopf-Standarten, ausgebildet.
Vage Vorstellung des Ausmaßes
Wie wichtig trotz der didaktisch gut ausgearbeiteten Ausstellung das Erleben des Ortes bleibt, macht die nur wenige Meter entfernte Station Z, das Krematorium, mit benachbartem Erschießungsgraben deutlich. Station Z, nach dem letzten Buchstaben des Alphabets, als finalem Weg der Lagerinsassen. Der Erschießungsgraben ist noch vollständig erhalten, während vom Krematorium nur noch Reste der Öfen stehen. Hier entwickelt sich ein authentisches Gefühl für das Ausmaß der Verbrechen. Der Ort vermittelt eine vage Vorstellung für die Schicksale, die hinter all den historischen Fakten stehen. Ein Erlebnis, dass gerade mit voranschreitender Zeit und der Gefahr des Vergessens immer wichtiger wird. Wie könnte man sonst kommenden Generationen einen Eindruck von dem vermitteln, was in deutschen Namen unter der Herrschaft der Nationalsozialisten Millionen von Menschen und ganzen Völkern angetan wurde.
Quelle: ntv.de