Dossier

Ungleiches Tandem mit Merkel Sarkozy neuer EU-Ratschef

Der jüngste EU-Gipfel in Brüssel war durchaus symptomatisch für das aktuelle Verhältnis zwischen Angela Merkel und Nicolas Sarkozy. Der impulsive französische Staatschef ärgerte sich zu nächtlicher Gipfelstunde schwarz über den Tschechen Mirek Topolnek, der die Formulierung der Abschlusserklärung blockierte.

Die Kanzlerin bat daraufhin um Vertagung und verständigte sich am nächsten Morgen beim Frühstück mit dem Tschechen auf eine Kompromiss-Fußnote in dem Dokument. Sarkozy wurde anschließend informiert und nickte das Ergebnis ab. Die Einstimmigkeit der 27 Mitglieder der Europäischen Union war wieder einmal gerettet - ein wichtiges Signal, gerade in der Krise nach dem irischen Nein zum EU-Reformvertrag. Nach diesem Muster könnte auch die sechsmonatige französische EU-Ratspräsidentschaft ablaufen, die am 1. Juli beginnt.

"Die Chemie stimmt nicht"

"Die Chemie stimmt nicht zwischen den beiden", wurde wiederholt, vor allem auch aus Frankreich, berichtet. Gegenseitiges Misstrauen, eine heimliche Rivalität gar bestimme das Verhältnis zwischen Merkel und Sarkozy. Die gemeinsamen öffentlichen Auftritte der beiden scheinen dieses schnelle Urteil zu bestätigen. Hier der hibbelige Staatschef, der mit seinem ganzen Körper Ungeduld signalisiert; dort die nüchtern-abwägende Kanzlerin, die in der großen Koalition auf Kompromisssuche geeicht ist. Der Kontrast könnte größer nicht sein.

Im Arbeitsstil hat dieses ungleiche Tandem bisher noch keinen gemeinsamen Rhythmus gefunden. Doch in der täglichen Praxis gab es bereits Erfolge. Bei der Mittelmeerunion - Sarkozys Prestigeprojekt - hat Merkel dafür gesorgt, dass diese südliche Nachbarschafts- Kooperation Bestandteil der EU bliebt und keine gesonderte Spielwiese Frankreichs wird. Im Streit um die Klimaschutzvorgaben für die Autoindustrie fanden Paris und Berlin ebenfalls überraschend schnell einen Kompromiss, der für die übrigen Auto-Hersteller-Länder in der EU Signalwirkung haben soll.

Kaum Soll-Bruchstellen

Schon zu Beginn seiner Amtszeit im vergangenen Jahr einigten sich Sarkozy und Merkel auch unerwartet reibungslos auf eine neue Führungsstruktur beim europäischen Airbus-Konzern EADS. Und in der Außenpolitik boten beide beim NATO-Gipfel in Bukarest US-Präsident George W. Bush die Stirn, der unbedingt einen raschen Allianz-Beitritt der Ukraine und Georgiens wollte.

Im französischen EU-Programm für die kommenden sechs Monate sehen Regierungsexperten in Berlin kaum echte Soll-Bruchstellen - nicht beim EU-Klimapaket, nicht bei dem von Sarkozy gewünschten Einwanderungspakt und auch nicht bei der gemeinsamen Verteidigungspolitik. Einige Stopp-Schilder hat Merkel allerdings aufgestellt: Die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank ist für sie unantastbar; ein kurzfristiges Drehen an der Steuerschraube zur Abmilderung der Energiepreise ist ebenfalls tabu.

"Liebeserklärung" an Merkel

Dass Merkel notfalls auch anders kann, diese Botschaft ist bei Sarkozy längst angekommen. Vielleicht erklärt sich auch daraus die "Liebeserklärung", die der Staatschef Anfang Mai bei der Verleihung des Aachener Karlspreises am die Kanzlerin in freier Rede formulierte: "Ich liebe Angela Merkel mehr, als manche sagen. Ich habe viel von ihr gelernt."

Dieses Einvernehmen werden beide brauchen, um Irland wieder ins Boot des Lissabonner Vertrags zu holen und damit bis Ende des Jahres die Reform der EU zu retten. "Wenn wir das hinbringen, dann nur miteinander", wird in der Bundesregierung engste Kooperation mit Paris vorausgesagt. Denn noch immer gilt das ungeschriebene Gesetz in der EU: "Es genügt nicht, wenn Deutschland und Frankreich sich einigen. Wenn sich beide aber nicht einigen, gibt es in der EU sicher keine Einigung." Dieser Merksatz dürfte auch während der französischen Ratspräsidentschaft gelten.

Von Frank Rafalski, dpa

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen