Dossier

Mann des markigen Wortes Sarrazin geht zur Bundesbank

Unvergessen wird Thilo Sarrazin den Berlinern in jedem Fall bleiben. Im Guten wie im Schlechten. Kein einziger der rot-roten Senatoren in der Bundeshauptstadt versteht es derart, die Gemüter in Wallung zu versetzen und die Meinungen zu spalten. Unbestritten sind seine Erfolge als Finanzsenator, der binnen sieben Jahren den schier hoffnungslos defizitären Haushalt der Bundeshauptstadt wieder in die schwarzen Zahlen brachte. Dafür lösten seine abwertenden Sprüche über Hartz-IV-Empfänger, Geringverdiener und Beamte nicht nur unter Parteifreunden oft genug Fassungslosigkeit aus.

"Wir wollen nicht verhehlen, dass er uns so manches Mal erschüttert hat", sagte der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit (SPD). "Der morgendliche Blick in die Zeitung war nicht immer erbauend." Im vergangenen Jahr setzte sich der mittlerweile 64-jährige Sarrazin derart häufig in die Nesseln, dass man fast meinen könnte, er habe auf seine Abberufung hingearbeitet. Tatsächlich ging in Berlin schon lange das Gerücht um, der Senator wolle in den Vorstand der Bundesbank wechseln. Nun ist es amtlich: Sarrazin geht nach Frankfurt, und Berlin verliert einen Politiker, den die einen zynisch und die anderen authentisch nennen.

Sprössling einer Familie des gehobenen Bürgertums

Sarrazin stammt aus einer Familie des gehobenen Bürgertums. Bildung und Kultur wurden hier groß geschrieben. Sein Abitur machte er in Recklinghausen an einem altsprachlichen Gymnasium. Mit 28 Jahren hatte er Wehrdienst und Studium abgeleistet und war promovierter Volkswirt. Konsequent verlief auch die Karriere: Referent im Bundesfinanzministerium, Abordnung zum Internationalen Währungsfonds in Washington, Referatsleiter im Bundesarbeitsministerium, danach ein Leitungsposten nach dem anderen im Bundesfinanzministerium. 1991 wurde Sarrazin Staatssekretär für Finanzen in Rheinland-Pfalz, dann übernahm er die Geschäftsführung der Treuhandliegenschafts-Gesellschaft in Berlin und wurde später Vorstandsmitglied bei der Deutschen Bahn.

Angesichts dieser Laufbahn müsste Sarrazin eigentlich in der Welt der Politik genauso zu Hause sein wie in der Welt der Zahlen. Legendär sind seine Flipcharts und Powerpoint-Präsentationen voller Grafiken, Defizitkurven und Hochrechnungen, mit denen er seine Vorträge gerne unterstreicht. Und tatsächlich schaffte der Vater zweier erwachsener Söhne es, dank einem eisernen Sparkurs den Landeshaushalt aus der Neuschuldenspirale zu hieven. 2007 und 2008 konnte das Land sogar Überschüsse verzeichnen; von den mehr als 60 Milliarden Euro Schulden, die sich hauptsächlich vor Sarrazins Amtszeit angesammelt hatten, wurde seit 2006 immerhin eine Milliarde abbezahlt.

Kein politisches Fingerspitzengefühl

Politisches Fingerspitzengefühl hat sich der stets akkurat gekleidete Sarrazin dagegen nicht angeeignet. "Manchmal freut man sich, wenn er auch mal nichts sagt", soll Wowereit über seinen Meistersparer einmal gesagt haben. Gleich nach Amtsantritt 2002 machte dieser sich mit den Worten beliebt: "Die Beamten laufen bleich und übel riechend herum, weil die Arbeitsbelastung so hoch ist."

Beliebtestes Ziel seiner Attacken waren jedoch Hartz-IV-Empfänger und Arbeitslose. Vor einem Jahr ließ Sarrazin einen Speiseplan für Hartz-IV-Empfänger entwickeln, mit dem er beweisen wollte, dass man auch mit weniger als vier Euro am Tag "ausgewogen, auskömmlich essen" kann. Als ein Moderator ihm daraufhin vorrechnete, dass seine Speisepläne eher Diätkost entsprächen, sagte der Senator: "Wenn man sich das anschaut, so ist das kleinste Problem von Hartz-IV-Empfängern das Untergewicht."

Einen dicken Pullover anziehen

Im vergangenen Sommer empfahl der Politiker Bedürftigen, doch einen dicken Pullover anzuziehen, wenn sie wegen steigender Energiekosten die Wohnung nicht mehr heizen könnten. Und angesichts der Mindestlohndebatte behauptete Sarrazin: "Für fünf Euro pro Stunde würde ich jederzeit arbeiten gehen." Da platzte sogar Wowereit der Kragen, und der Senator musste sich entschuldigen. Sarrazins Arbeit in der Bundesbank werde "etwas geräuschloser sein", mutmaßte Wowereit am Dienstag - nur um schmunzelnd hinzuzufügen: "Man weiß es nicht. Aber das ist nicht mehr unser Problem."

Quelle: ntv.de, Marion Meyer-Radtke. AFP

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