Interview mit Reinhard Loske "Schwarz-Grün wäre rationaler"
13.03.2007, 10:55 UhrIm Vergleich zu ihrem Vorgänger ist Angela Merkel eine geradezu "grüne" Bundeskanzlerin: In der EU setzt sie das Thema Klimawandel ganz oben auf die Agenda, gegen das atom-freundliche Frankreich setzt sie den Ausbau der erneuerbaren Energien durch. Der grüne Umweltpolitiker Reinhard Loske ist hin und hergerissen. Einerseits hat er die "unsägliche" Oppositionspolitik der Union gegen Rot-Grün nicht vergessen. Andererseits sieht er durchaus Bewegung in der Union.
n-tv.de: Vor dem jüngsten EU-Gipfel hat Bundeskanzlerin Merkel gesagt, beim Weltklima sei es "eher fünf nach Zwölf als fünf vor Zwölf". Wenn Grüne so etwas früher sagten, wurde ihnen gerade von der Union Alarmismus vorgeworfen. Ärgern Sie sich, dass die anderen Ihnen die Themen wegnehmen?
Reinhard Loske: Ich finde es gut, dass sie diese Themen aufgreifen, weil es einfach Überlebensthemen sind - wenn die Union sich auch etwas verspätet hat. Bei den konkreten Beschlüssen sehe ich allerdings noch ein dramatisches Auseinanderklaffen von Worten und Taten: Beim Streit um die CO2-Grenzwerte für Autos haben sich die Union und die Kanzlerin die Forderungen der Automobilindustrie eins zu eins zu Eigen gemacht. Beim Emissionshandel hat die Bundesregierung in Brüssel einen Plan abgeliefert, der ein verstecktes Förderprogramm für den Neubau von Braunkohlekraftwerken war. Man kann nur froh sein, dass die EU-Kommission das einkassiert hat. Ich sehe nicht die Gefahr, dass uns die Themen weggenommen werden.
Haben Sie bei Angela Merkel nicht den Eindruck, dass ihre Äußerungen zum Klimawandel mehr sind als nur Lippenbekenntnisse?
Ich kenne Frau Merkel ja schon länger. Bevor ich in die Politik ging, war ich am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie und habe da für die Bundesregierung und namentlich für die damalige Umweltministerin Merkel gearbeitet und war froh, wie sie das Kioto-Protokoll gepusht hat. Als ich dann 1998 in den Bundestag einzog, war ich von ihr bodenlos enttäuscht. Bei den übelsten Kampagnen gegen die Ökosteuer und gegen das Erneuerbare-Energien-Gesetz war sie immer vorne mit dabei. Ich habe mich gefragt, mein Gott, hat die Frau denn wirklich alles vergessen? Jetzt scheint sie sich wieder zu erinnern. Das ist nur gut so.
Wie beurteilen Sie denn die Ergebnisse des EU-Gipfels - einmal die CO2-Reduktion um 20 Prozent bis 2020, dann der Ausbau der erneuerbaren Energien um 20 Prozent?
Die CO2-Minderung bis 2020 gegenüber 1990 ist viel zu schwach, geradezu hasenfüßig. 20 Prozent in 30 Jahren, das ist keine Vorreiterrolle, sondern Schneckentempo, zumal ab 2012 nicht mehr die EU-15 zählt, sondern die EU-27. Dann sind all die neuen EU-Mitglieder dabei, die nach 1990 durch den industriellen Zusammenbruch einen extremen Rückgang an CO2-Emissionen hatten. Das ist alles mit eingerechnet.
Wie bei Ostdeutschland auch.
Was wir in Deutschland hatten, die so genannten "Wall-Fall-Profits" beim CO2-Ausstoß, die Deutschland eine gute Klimabilanz beschert haben, das erleben wir jetzt auf europäischer Ebene. Wenn man das berücksichtigt, hat man schon 2012 für die erweiterte EU eine Ausstoßverringerung von ungefähr 15 Prozent. Das 20-Prozent-Ziel bis 2020 ist also beim besten Willen nicht ehrgeizig, sondern halbherzig. 30 Prozent wären ambitioniert gewesen.
Und der Ausbau der erneuerbaren Energien?
Bei den erneuerbaren Energien sieht es besser aus, das kann man anerkennen, vor allem, weil es ein verbindliches Ziel ist. Ich glaube zwar, dass mehr möglich ist. Aber diese 20 Prozent, das ist schon mal ein Wort, da kann man Frau Merkel zu ihrem diplomatischen Geschick gratulieren. Jetzt muss dieser Beschluss allerdings unterlegt werden: Wie soll das erreicht werden und wer leistet welchen Anteil?
Richtung Frankreich hat Merkel mehrfach betont, Atomkraft sei keine erneuerbare Energie. Hat Sie das überrascht?
Dass sie sagt, Atomkraft sei keine erneuerbare Energie, ist ja für eine Naturwissenschaftlerin nichts Besonderes. Atomkraft ist halt nicht erneuerbar, weil der Brennstoff Uran nicht unendlich vorrätig ist. Selbst mit der Brütertechnologie, die keiner will, wäre Atomkraft nicht unendlich erneuerbar. Insofern hat sie da nur eine Trivialität ausgesprochen.
SPD-Fraktionschef Struck warnt vor einer "Klima-Hysterie". Sind die Rollen zwischen ihrem früheren Koalitionspartner und der Union derzeit nicht seltsam verteilt?
Wir haben ja zwischen 1998 und 2005 unsere spezifischen Erfahrungen mit den Sozialdemokraten gemacht. Wir hatten den Autokanzler Gerhard Schröder, wir hatten Wolfgang Clement - der Mann, der die Vorstellungen von RWE und E.on eins zu eins umsetzte. Aber man hatte gehofft, dass sich bei der SPD mit der neuen Regierung eine neue Richtung durchsetzen würde. Im Moment steht Sigmar Gabriel ziemlich allein auf weiter Flur. Ich nehme ihm sein Engagement durchaus ab, aber man hat nicht das Gefühl, dass er von einer breiten Welle der Unterstützung in der SPD getragen wird. Diese seltsame Äußerung von Struck ist einfach unzeitgemäß; sie weist zurück in die Zeit von Schröder und Clement. Das Denkmuster "Wirtschaft gegen Umwelt" ist doch völlig veraltet.
Der "Welt" haben Sie im vergangenen Jahr gesagt, "von der SPD trennt uns ihr industriepolitischer Strukturkonservatismus, von der Union ihre ökologische Ignoranz". Trifft das noch gleichermaßen zu?
Beide Parteien, vor allem die SPD, sind noch fest verhaftet im Korporatismus: Der große Staat trifft mit der großen Industrie unter Beteiligung der großen Gewerkschaften große Absprachen, häufig zu Lasten Dritter. Dieses Modell ist absolut out. Ihre ökologische Ignoranz hat die Union bisher nur in Ansätzen rhetorisch überwunden. Die Botschaft hör' ich wohl, allein, mir fehlt der Glaube - vielleicht noch. Im Moment ist es so, dass die Union bei allen möglichen Gesetzen auf der Bremse steht: sie will kein Regenerative-Wärme-Gesetz, sie will kein Gesetz zur Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung und sie will keine Kfz-Steuer, die auf den CO2-Ausstoß umgestellt ist. Mir kommt das ein bisschen vor wie in der Familienpolitik, wo Ursula von der Leyen Vorschläge macht, deren Finanzierung dann nicht gedeckt ist. Realpolitisch ist die Union beim Klimaschutz noch nicht umgeschwenkt. Insofern würde ich meine Äußerung vom vergangenen Dezember leicht modifizieren, aber nicht gänzlich für falsch erklären.
Mal ganz platt gefragt: Was halten Sie denn mit Blick auf 2009 von Schwarz-Grün?
Da kann ich nur mit der allgemeinen Floskel antworten, dass das jetzt nicht ansteht. Man tut, glaube ich, gut daran, jetzt die Inhalte nach vorn zu stellen.
Wie ist die Stimmung in der Fraktion? Gibt es außer Hans-Christian-Ströbele noch die ganz harten Rot-Grünen?
Nein, ich glaube, die meisten in der Fraktion haben eher einen nüchternen Blick auf die Koalitionsfrage, und da schließe ich mich selber ein. Was tot ist, ist die Idee eines rot-grünen "Projektes". Die rot-grüne Koalition hatte ja etwas von einem Familienbetrieb - was auch dazu führte, dass man sich gegenseitig nichts gönnte, übereinander lästerte und dergleichen. Es war kein Vernunftbündnis, sondern hatte den Anspruch, ein Projekt zu sein, was vielleicht für Schröder und Fischer auch zutreffend war. Das ist mausetot. Jetzt guckt man eher, mit wem die meisten Inhalte umzusetzen wären. Da gibt es Erfahrungen: Wir hatten in der Regierungszeit nicht nur einen schwierigen Koalitionspartner, sondern auch eine unsägliche Opposition in Bundestag und Bundesrat. Daher spreche ich gern von der Äquidistanz, die wir mittlerweile zu beiden großen Parteien haben. Ich glaube, dass wir mit der Grundhaltung der Äquidistanz in den nächsten anderthalb Jahren gut fahren.
Wenn die große Koalition wie unlängst bei Biblis A über die Atomkraft streitet, wiederholt die Kanzlerin immer nur, ihre Position zur Kernkraft sei bekannt, aber der Koalitionsvertrag regle das eindeutig und sie sei vertragstreu. Empfiehlt Merkel sich mit dieser ausdrücklichen Zuverlässigkeit nicht geradezu für eine schwarz-grüne Koalition?
Ich beobachte seit etwa einem Jahr bei der Union, dass man sich für Schwarz-Grün präpariert, dass man anschlussfähig sein will. Wenn ich mir zum Beispiel angucke, welche Leute zum näheren Umfeld von Angela Merkel gehören - Norbert Röttgen, Peter Altmaier, Ronald Pofalla, Friedbert Pflüger - das sind ja durchaus Leute, mit denen wir zwar weiß Gott nicht in jedem Punkt einer Meinung sind, aber auch Leute, die für Schwarz-Grün anschlussfähig sind. Den Fall Biblis A würde ich nicht als spezifisches schwarz-grünes Signal verstehen, sondern eher als Anerkennen von Realitäten. Da sind einfach der Koalitionsvertrag und das Recht auf der Seite von Sigmar Gabriel.
Zu Zeiten der rot-grünen Bundesregierung bekam bei Öko-Themen meist die SPD die öffentliche Prügel und die Grünen die Lorbeeren; bei einer schwarz-grünen Koalition wären Prügel und Lorbeeren möglicherweise gerechter verteilt.
Wenn es zu Schwarz-Grün käme, was man im Moment nicht sagen kann, dann gäbe es einen rationalen Abgleich von wechselseitigen Interessen. Das wäre ein Unterschied zu Rot-Grün. Es gäbe vermutlich weniger Familienstreit, weniger Piesacken, es wäre eine stärker vernunftgemäße Koalition. Es gäbe natürlich auch Felder, wo die Konflikte schon jetzt auf der Hand liegen: in der Gesellschaftspolitik, Migrationspolitik, Außenpolitik wahrscheinlich auch - da sehe ich viel Stoff für Zwist. In vielen Bereichen wären wir - und unsere Wähler - der SPD näher.
Eigentlich wollte ich Sie noch nach der Rolle der CSU in einer möglichen schwarz-grünen Koalition fragen. Und jetzt berichtet die "taz", dass Sie zusammen mit dem CSU-Abgeordneten Josef Göppel einen Antrag verfasst haben, der ein Tempolimit von 130 auf den Autobahnen fordert.
Wir meinen, wenn Umfragen immer wieder eine Mehrheit für ein Tempolimit ergeben, dann kann es nicht sein, dass die Antwort aus Bundestag und Bundesregierung immer nur "Nein, nein, nein" lautet. Beim Nichtraucherschutz gab es das ja auch, dass Leute sich über Fraktionsgrenzen hinweg zusammengeschlossen haben. Wir wollen das bei dieser Sache auch versuchen. Ob wir Erfolg haben werden, ist noch offen. Meine SPD-Kollegin Heidi Wright hat, soweit ich weiß, bislang 35 Stimmen. Aber wir haben ja noch gar nicht aktiv angefangen, Unterschriften zu sammeln, wir haben ja gerade erst den Antrag erarbeitet. In den nächsten Wochen geht es dann ans Sammeln.
Und die CSU?
Die CSU ist eine interessante Partei. Der alte Spruch von "Laptop und Lederhosen" gilt im Umweltbereich genauso: Bayern war das Bundesland mit dem ersten Umweltgesetz, dem ersten Umweltministerium und dem ersten Nationalpark. Insofern gab es immer schon einen Anknüpfungspunkt an Umwelt-Gedankengut.
Aber gleichzeitig waren sie eben auch die brutalsten Befürworter von Autobahnen und Atomkraftwerken. Diese Ambivalenz zwischen Wertkonservatismus und fast besinnungslosem Fortschrittsglauben war bei der CSU immer weit verbreitet. Es wäre eine Ironie der Geschichte, wenn die CSU in Bayern unter 50 Prozent fallen und mit den Grünen koalieren würde. Schwarz-Grün in Bayern, für mich wäre das eine Art Dream-Team.
Warum?
Eine Partei, die für sich reklamiert wertkonservativ zu sein, und eine ökologische Partei - da ginge vielleicht was.
Edmund Stoiber hat Schwarz-Grün auch gleich für seinen Nachfolger Günther Beckstein mit ausgeschlossen.
Ja, aber Stoiber ist ja nicht mehr lange im Amt. Natürlich setzt auch Beckstein auf 50 Prozent plus X. Aber wir haben schon in Nordrhein-Westfalen erlebt, dass eine Staatspartei erodieren kann. Ganz so dramatisch wird es in Bayern vielleicht nicht ausfallen, aber die In-Eins-Setzung von Bayern und CSU, das ist vorbei.
Al Gore hat gesagt: "Wir haben noch zehn Jahre, um etwas gegen die Erderwärmung zu tun". Zehn Jahre, in denen die Welt komplett umsteuern muss. Das ist doch eigentlich völlig aussichtslos.
Das sagt nicht nur Al Gore, sondern das IPCC, der Weltklimarat der UN, sagt das im Prinzip auch. Damit ist gemeint, dass das Fenster der Möglichkeiten in den nächsten zehn, 15 Jahren noch geöffnet ist für gute Lösungen. Es ist nicht so, dass hier in zehn Jahren Feierabend ist, wenn wir nichts machen. Aber wenn wir nicht jetzt radikal umsteuern, werden wir uns in Zukunft nur noch mit Anpassungen beschäftigen. Wir brauchen Maßnahmen auf Augenhöhe der Herausforderung. Wir müssen jetzt unsere komplette Energieinfrastruktur umbauen. Bis Mitte des Jahrhunderts müssen die weltweiten CO2-Emissionen um mindestens 50 Prozent zurückgehen, in den Industrieländern um 80 Prozent.
Im Vergleich zu 1990.
Ja. Das weltweite Emissionsmaximum muss spätestens 2020 erreicht sein, von da an darf der CO2-Ausstoß nur noch sinken. Man darf diese Aussage "nur noch zehn Jahre" nicht missinterpretieren. Man muss bei der Klimadebatte überhaupt aufpassen, dass die Stimmung nach langen Jahren der Ignoranz nicht in Ohnmachtsgefühle umschlägt, nach dem Motto, man kann eh nichts mehr machen. Wir können noch sehr viel machen. Es ist ein gewaltiger Unterschied, ob man in einer Welt lebt, die um zwei Grad wärmer ist, oder in einer Welt, die fünf oder sechs Grad wärmer ist.
Die Fragen stellte Hubertus Volmer
Quelle: ntv.de