Dossier

"Vietnam-Syndrom" Soldat fordert Entschädigung

"Mir zieht sich der Magen zusammen, wenn ich daran denke." Es ist drei Jahre her, seit sich Peter Hämmerles Leben für immer veränderte: Bei einem Anschlag in Afghanistan kamen vier Bundeswehrsoldaten ums Leben. Fast 30 weitere wurden verletzt. Seitdem kämpft Hämmerle nicht mehr für, sondern gegen die Bundeswehr: "Ich will eine Entschädigung für die Folgen des Einsatzes." Der traumatisierte Hauptfeldwebel der Reserve fordert mehrere 10.000 Euro und eine monatliche Rente von etwa 1.800 Euro.

Rückblende: Am 7. Juni 2003 rast in Kabul ein Taxi auf einen Konvoi der Bundeswehr zu. Das Auto kracht in einen mit Soldaten besetzten Bus - mit 150 Kilo Sprengstoff. "Es hat einen gewaltigen Schlag getan, der Bus ist nach vorne geschossen wie eine Rakete", erzählt Hämmerle, damals der Konvoiführer. Die schrecklichen Bilder verfolgen ihn bis heute: der zerstörte Bus auf einem Feld, Leichenteile, geschockte Soldaten, die orientierungslos davonlaufen. Zitternd bricht er schließlich zusammen. Für den Rest des Tages muss Hämmerle von einem Kameraden begleitet werden -wegen Suizidgefahr.

Apathie und Depression

Bis auf ein ständiges Pfeifen im Ohr blieb Hämmerle körperlich unversehrt. Schlimmer sind die seelischen Folgen: Der Tübinger leidet am posttraumatischen Belastungssyndrom, PTBS, das in den USA auch Vietnamsyndrom genannt wird. PTBS ist mit hypernervösen und apathischen Phasen verbunden. Nur mit Psychopharmaka komme er noch ins und aus dem Bett - an eine Arbeit sei nicht mehr zu denken.

Hämmerle macht der Bundeswehr schwere Vorwürfe. Kurz nach seiner Heimkehr im August 2003 bekam er ein Schreiben, mit dem er aus der bis September 2003 gehenden Wehrübung entlassen wurde, weil er einen Auslandseinsatz vorzeitig abgebrochen habe. "Das bedeutete: Ich wäre auf der Straße gelandet." Nur auf Druck sei die Wehrübung bis zum September 2004 verlängert worden, sagt Hämmerle. Dies bestreitet die Bundeswehr: "Wenn ein Soldat während einer Wehrübung einen 'Dienstunfall' erleidet, wird die Übung so lange verlängert, bis er wieder genesen ist."

Der gelernte Wirtschaftsinformatiker kam in Fachkliniken - ohne Erfolg. Schließlich bekam er einen Arbeitsplatz bei der Wehrbereichsverwaltung in Stuttgart, litt aber häufig an Kopfschmerzen. Der Grund: Ein Tumor im Gehirn, der dieses Jahr entfernt wurde. "Mit PTBS kann ich dort nicht mehr arbeiten. Zudem: Was soll ich dort? Ich habe diese Arbeit nie gelernt."

Übernahme fast unmöglich

Hämmerle sagt, er habe 17.000 Euro Schulden und bekomme monatlich 800 Euro Rente. Als Folge stehe er vor dem Ruin. "Der damalige Verteidigungsminister hat uns verarscht. Es hieß: Keiner, der in Kabul sein Leben riskiert hat, muss aufs Sozialamt. Geschehen ist nichts." Auch das, heißt es aus dem Umfeld der Bundeswehr, sei nicht richtig. Untätigkeit will sich die Bundeswehr nicht vorwerfen lassen. Mit dem Job in Stuttgart habe man viel für Hämmerle getan. Der habe jedoch partout als Soldat übernommen werden wollen - ab einem Alter von 40 Jahren fast unmöglich bei der Bundeswehr.

Der Fall ist weiter geprägt von Missverständnissen: Zuletzt bestätigte ein Bundeswehrarzt die Diagnose PTBS. Kurz darauf gab es eine Anfrage, ob Hämmerle transportfähig nach Hamburg sei. Der Grund: Es müsse untersucht werden, ob er an PTBS leide.

Von Jörg Isert, dpa

Quelle: ntv.de

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