Kommunen sollen kürzen dürfen "Sparen auf Kosten der Ärmsten"
23.07.2010, 14:53 UhrDie Bundesregierung will die Verantwortung für die Höhe von Unterkunftskosten von Hartz-IV-Empfängern den klammen Kommunen übertragen. Seinen Anteil an den steigenden Kosten will er nicht erhöhen. Der Bund drückt sich vor einer gesamtstaatlichen Aufgabe, kritisiert die parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Britta Haßelmann.

Britta Haßelmann ist parlamentarische Geschäftsführerin und kommunalpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag.
(Foto: Grüne)
n-tv.de: Frau Haßelmann, Sie haben die Bundesregierung gefragt, welche Rolle die Gemeindefinanzkommission bei der Kürzung sozialer Leistungen spielt. In der Antwort heißt es, die Arbeit der Kommission sei "unabhängig von den aktuellen Beratungen zum Bundeshaushalt", mit anderen Worten: Es geht um Reform, nicht um Sparen. Glauben Sie das?
Britta Haßelmann: Das kann ich nicht so recht glauben. Das Arbeitsministerium macht in der Antwort auf die Kleine Anfrage deutlich, dass es um mögliche Flexibilisierungen von Standards gehen soll und um entsprechende Entlastungsvolumina. Dabei klagen die Kommunen schon seit Jahren darüber, dass die sozialen Kosten eine unglaubliche Entwicklung annehmen und gleichzeitig der Bund seinen Anteil an bestimmten Aufgaben zurückfährt. Ein Beispiel sind die Kosten der Unterkunft. Die sind für die Städte und Gemeinden in den vergangenen Jahren exorbitant gestiegen. Trotzdem hat der Bund seinen Anteil immer weiter gesenkt - auf mittlerweile nur noch 23,6 Prozent.
Die Bundesregierung argumentiert, sie habe den Kommunen an anderer Stelle finanzielle Zugeständnisse gemacht.
Das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Ich wüsste nicht, an welcher Stelle das sein soll.
Das Arbeitsministerium prüft derzeit die sogenannte Satzungslösung. Die läuft darauf hinaus, dass die Kommunalparlamente die Grenzwerte für Unterkunfts- und Heizkosten per Satzung bestimmen dürfen. Was halten Sie davon?
Das Problem wird weiter auf die Städte und Gemeinden verlagert. Die Botschaft ist: Berlin zahlt für die Kosten der Unterkunft auf keinen Fall mehr. Stattdessen bekommen die Kommunen das Recht, die Angemessenheit zu definieren. Das ist der völlig falsche Weg. Die Kosten der Unterkunft für Hartz-IV-Beziehende sind eine gesamtstaatliche Aufgabe und nicht kommunal zu regeln. Die Satzungslösung könnte bedeuten, dass die Städte und Gemeinden, die schon jetzt in einer schwierigen finanziellen Situation sind, die Angemessenheit der Unterkunftskosten sehr gering veranschlagen. Die Kommunen sollen offenbar gezwungen werden, auf Kosten der Ärmsten zu sparen.
Sie machen in Ihrer Anfragen deutlich, dass Sie Umzüge in schlecht sanierte Wohnungen befürchten, mit anderen Worten: die Entstehung von Armenvierteln. In der Antwort heißt es, die Bundesregierung erwarte solche Umzüge nicht. Überzeugt Sie das?
Das überzeugt mich überhaupt nicht, weil doch klar ist, dass es in jeder Stadt Viertel mit relativ teurem Wohnraum gibt und Viertel, in denen der Wohnungsmarkt relativ günstig ist. Natürlich würde eine Absenkung der Wohnkostenübernahme zu einer Verdrängung von Menschen führen, die wenig Geld haben. Ich verstehe nicht, warum die Bundesregierung vor diesem Problem die Augen einfach verschließt.
Die im Koalitionsvertrag noch geplante bundesweite Pauschale für Unterkunfts- und Heizkosten ist vom Tisch. Ist das nicht eine gute Nachricht? Die Wohnkosten sind schließlich bundesweit sehr unterschiedlich.
Mich hat das erstaunt, aber für mich ist das Entscheidende nicht die Frage, ob es künftig eine Pauschale geben wird, sondern die Frage, ob der Bund seine Verantwortung für diese gesamtstaatliche Aufgabe übernimmt. Es gibt schließlich immer mehr Menschen, die Unterstützung für die Kosten ihrer Unterkunft brauchen. Der Bund muss seinen Anteil erhöhen.
Die "Arbeitsgruppe Standards" schlägt in ihrem Zwischenbericht vom 25. Juni diverse sozialpolitische Grausamkeiten vor, zum Beispiel eine "Absenkung des Standards" bei der bislang unentgeltlichen Beförderung von Schwerbehinderten. Können Sie sich vorstellen, dass so ein Vorhaben umgesetzt wird?
Das kann ich mir nicht vorstellen, gerade vor dem Hintergrund der Tatsache, dass im vergangenen Jahr in Deutschland die UN-Konvention für Menschen mit Behinderungen in Kraft getreten ist. Damit haben wir nochmals deutlich gemacht, dass Menschen mit Behinderungen das Recht und den Anspruch auf Teilhabe und ein selbstbestimmtes Leben haben.
Meine Frage ging mehr in die Richtung, ob Sie es der Bundesregierung zutrauen.
Ich weiß im Moment nicht, was die da machen, ich weiß auch nicht, was die Überprüfung der Standards soll. Ich kann nur sagen, ich halte ein solches Vorhaben nicht für vereinbar mit der UN-Konvention.
Mit Britta Haßelmann sprach Hubertus Volmer
Quelle: ntv.de