Dossier

Reaktionen Stimmen zum Integrationsstreit

Die deutsche Zuwanderungspolitik folgt dem Grundsatz "fordern und fördern". So sollen zwei grundverschiedene Ziele erreicht werden: Einerseits soll die Integration der nicht-deutschstämmigen Bevölkerung sowie deren Bildungschancen verstärkt betrieben werden. Andererseits geht es darum, die Einwanderung hochqualifizierter Fachkräfte nach Deutschland zu erleichtern.

Wie Bundeskanzlerin Angela Merkel betont, hängt Deutschlands Wohlstand davon ab, dass "Migranten in unserem Land eine Chance haben".

Meinungen und Hintergrund

Die Reform des Zuwanderungsgesetzes setzt elf EU-Richtlinien um. Doch bereits im Mai hatte der UNHCR-Regionalvertreter Gottfried Köfner die in geplante Reform kritisiert: "Die positiven Gestaltungsmöglichkeiten von EU-Richtlinien wurden leider nicht genutzt, stattdessen wurden an vielen Stellen restriktive Akzente gesetzt". So würden beim individuellen Schutz von Bürgerkriegsflüchtlingen EU-Vorgaben nicht eingehalten. Zudem werde die Richtlinie über die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber weitgehend nicht umgesetzt, so der Vertreter des UN-Flüchtlingskommissariats.

In einer Presseerklärung des Ministeriums erläutert Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble die verabschiedete Reform: "Wir tragen mit dem Gesetz den europäischen Vorgaben Rechnung und haben zugleich die Chance genutzt, das Zuwanderungsgesetz vom 1. Januar 2005 in wesentlichen Bereichen nach integrationspolitischen Erkenntnissen zu überarbeiten. Damit wird das friedliche Zusammenleben in unserem Land gestärkt. Wir wollen die Integration in unserem Land fördern. Das reformierte Zuwanderungsgesetz hat seinen Schwerpunkt eindeutig bei der Verbesserung der Integrationschancen ausländischer Mitbürger und künftiger Zuwanderer."

Kritik an der Reform

Das sehen nicht alle so. 56 SPD-Abgeordnete gaben ihre Einwände zu Protokoll und stimmten nur mit Vorbehalten zu - unter anderem deshalb, weil von derzeit rund 164.000 Geduldeten in Deutschland rund 158.000 Menschen von der Neuregelung des Bleiberechts profitieren könnten.

Petra Pau, die Vize-Fraktionschefin der Linken, kritisiert: "Es ist schon etwas schizophren: Ein Jahr lang debattiert man mit den Vertretern der Migrationsverbände in den Arbeitsgruppen nach dem ersten Integrationsgipfel, um eine bessere Integration zu erreichen. Gleichzeitig wird, wider besseres Wissen und gegen den Rat fast aller Experten, im Bundestag und im Bundesrat eine Verschärfung des Zuwanderungsrechts durchgesetzt." Ihre Parteikollegin Sevim Dagdelen prangert an, das Gesetz folge einer "rassistischen Einteilung" nach ökonomischen Nützlichkeiten.

FDP-Innenexperte Hartfrid Wolff bezeichnete das Gesetz schon im Juni als Stückwerk. Ein Konzept zur Zuwanderungssteuerung fehle, der Entwurf sei unausgewogen und in Teilen verfassungswidrig. Die türkischen Verbände planen, eine Verfassungsklage gegen die Regelungen einzureichen.

Boykott und Reaktionen

Aus Protest gegen die Novellierung des Zuwanderungsgesetzes blieben einige türkische Verbände dem Integrationsgipfel am 12. Juli im Kanzleramt fern, unter ihnen die Föderation Türkischer Elternvereine in Deutschland, die Türkische Gemeinde in Deutschland und die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion DITIB. Die Verbände kritisieren eine Diskriminierung türkischer Zuwanderer, da aus der Türkei nachziehende Ehepartner künftig Deutschkenntnisse vorweisen müssen, etliche andere Nationen aber nicht.

Der Münchner Oberbürgermeister und Präsident des Deutschen Städtetags, Christian Ude (SPD), äußerte sich bei n-tv verständnisvoll: "Die türkischen Proteste sind durchaus verständlich, soweit sie sich mit der Ungleichbehandlung befassen." Den Boykott des Integrationsgipfels kommentierte er allerdings mit Unverständnis: "Ich denke, dass unsere türkischen Freunde da ein kräftiges Eigentor geschossen haben. Denn sie erwecken ja den Eindruck, als ob es ihnen ganz besonders wichtig sei, dass Frauen ohne Sprachkenntnisse nachkommen können, obwohl wir wissen, dass dies genau zur Benachteiligung von Frauen und zu großen Integrationsproblemen und Schwierigkeiten führt. Man kann sich nicht selber ausschließen und dann bedauern, dass man nicht dazugehört."

Die Berliner Anwältin und Frauenrechtlerin Seyran Ates kritisierte die türkischen Verbände für ihr "kindisches" Verhalten. "Wir haben uns dort zusammengesetzt, um gemeinsam an Lösungen zu arbeiten… Damit wir ein Forum haben, um diese Kritik direkt anzubringen, ist der Integrationsgipfel in die Welt gerufen worden. Ich finde, das ist ein historischer Moment gewesen."

Alle wollen das Beste

Armin Laschet, nordrhein-westfälische CDU-Minister für Generationen, Familie, Frauen und Integration, weist die Vorwürfe zurück: "Es ist kein Gesetz, das nur gegen Türken gerichtet ist. Es gilt auch für die Thailänderin, die einen deutschen Ehemann heiratet. Ich glaube, das muss man noch besser erklären in den nächsten Wochen."

Die Neuregelung soll als das verstanden werden, was sie ist, nämlich ein Kompromiss, entstanden vor dem Hintergrund tatsächlicher Missstände, kultureller Differenzen und Integrationsprobleme. Man könne nicht ignorieren, dass bis zu 50 Prozent der zweiten und dritten Generation von Zuwanderern aus türkischer Abstammung Ehepartner heirateten, die nicht in Deutschland aufgewachsen seien, so Schäuble. Als wichtigen Grund für die neuen Hürden bei der Zusammenführung türkisch-türkischer Ehepartner in Deutschland wird das Problem der Zwangsverheiratung ins Feld geführt.

Der SPD-Abgeordnete Klaus Uwe Benneter ergänzt: "Wenn wir hier solche Sprachbarrieren aufbauen, dann um die Integration von vorn herein zu ermöglichen und um den Städten, die große Probleme mit den Einwandern haben, die Situation zu erleichtern."

Benneters Parteifreund Heinz Buschkowsky, Bürgermeister in Berlin-Neukölln, kann dies bestätigen und betonte bei n-tv die Notwendigkeit von Integration: "Das Entscheidende ist nach wie vor: das Bildungsdefizit muss behoben werden." Der SPD-Politiker entschärfte die Vorwürfe gegen die Forderung nach Sprachkenntnissen: "Das Entscheidende in allem ist, dass jemand, der in diesem Land eine Zukunft haben will und seinen Platz haben will, natürlich die Landessprache sprechen muss. Da gibt es überhaupt kein Vertun. Insofern ist auch weder diskriminierend noch unmenschlich, zu sagen, dass Menschen, die in dieses Land übersiedeln, wenigstens einen Minimalwortschatz von 300 Wörtern haben müssen. Der normale Mensch verfügt in der Umgangssprache über 3.000 bis 4.000, um sich zurechtzufinden."

Dialog nicht gefährdet

Kenan Kolat, der Vorsitzende der türkischen Gemeinde in Deutschland, setzt den Integrationsgipfel-Boykott seines Verbandes ins Verhältnis: "Wir sind weiterhin für Gespräche und wir nehmen jeden Dialog auch auf. Ich werde selbst an die Parteivorsitzende schreiben und ein Gespräch mit ihr aufnehmen. Schließlich geht es um die Zukunft unserer Kinder und da wollen wir mitmachen. Die türkische Gemeinde hat sich ja bereits zu einer Bildungskampagne verpflichtet, und die machen wir natürlich weiter - unabhängig vom Gipfel."

Quelle: ntv.de

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