Was sagen die anderen Thierse voll daneben
15.11.2007, 22:58 UhrIst dieser Politiker noch tragbar? Das fragen viele Blätter, sehen die politische Kultur in Gefahr und fordern eine förmliche Entschuldigung von Wolfgang Thierse. Auf viel Verständnis braucht der Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse nach seiner Kohl-Äußerung nicht mehr zu hoffen.
"Es kann keinen Zweifel geben: Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse hat einen schweren Fehler gemacht", erklärt die "Mitteldeutsche Zeitung" aus Halle. "Der Sozialdemokrat sagt zwar, das Interview sei arg verkürzt wiedergegeben worden. Der Satz: 'Seine Frau im Dunkeln in Ludwigshafen sitzen zu lassen, wie es Helmut Kohl gemacht hat, ist kein Ideal', ist aber offenbar so gefallen. Thierse brüskiert damit nicht allein den Altkanzler und seine Frau Hannelore. Er schadet der politischen Kultur. Und er instrumentalisiert Franz Müntefering und seine Frau Ankepetra gleich mit. Kaum vorstellbar, dass die Frau Münteferings mit der toten Frau Kohl verglichen werden möchte. Der Satz ist in jeder Beziehung ungehörig."
Der "Express" aus Köln erkennt bei Thierse den Willen zur "Schadensbegrenzung", sieht die Angelegenheit damit jedoch noch nicht erledigt: "Der Eindruck, den seine Entgleisung hinterlässt, ist nicht falsch, sondern verheerend. Dieser Stil der Auseinandersetzung zielt unter die Gürtellinie und verletzt die Würde der Familie Kohl auf niederträchtigste Art und Weise." Thierse sei "als Repräsentant der Bundesrepublik "nicht mehr tragbar."
Für "nicht mehr tragbar" hält auch die "Allgemeine Zeitung" aus Mainz den Bundestagsvizepräsidenten: "Man darf ihm abnehmen, dass er nicht vorsätzlich verletzen oder beleidigen wollte. Aber die Wirkung seiner Worte ist verheerend, sowohl mit Blick auf die Familie Helmut Kohls, als auch für die Bürger im Land; die haben einen Anspruch darauf, dass sich ihre politischen Repräsentanten so in der Gewalt haben, dass die Regeln des menschlichen Anstands gewahrt bleiben."
Die "Lübecker Nachrichten" sehen "die Grenzen des guten Geschmacks" durch Thierses Äußerung über Kohl "offensichtlich und deutlich überschritten. Er sollte sich schleunigst persönlich, Auge in Auge und öffentlich bei Helmut Kohl entschuldigen. Falls der ihn überhaupt empfängt bei der riesigen politischen und persönlichen Entfernung, die zwischen diesen beiden Menschen liegt. Aber den Versuch wenigstens, den sollte Thierse machen, so schwer es auch fällt. Dann müsste er nicht zurücktreten vom Amt eines Bundestags-Vizepräsidenten, dann könnte er bleiben, was er ist, wie er ist: Ein Sonderling im Berliner Betrieb, immer noch tapsig auf diesem ihm eigentlich widerlichen Parkett, auf jeden Fall besten Willens, Gutes zu bewirken, ausgerüstet mit der Fähigkeit zu heiligem Zorn. Und dann eben auch ganz schön naiv."
"Vor hundsgemeinen Gedanken ist niemand sicher. Selbst ein Heiliger nicht oder ein Moralapostel, wie Wolfgang Thierse einer ist", relativiert der "Kölner Stadtanzeiger", um ihn dann doch heftig zu kritisieren: "Umso schlimmer, dass er das Unanständige seiner Rede von der 'im Dunkeln sitzengelassenen' Hannelore Kohl nicht gespürt hat." Da helfen auch keine "abgeschmackten Polit-Pirouetten vom 'verkürzten, nicht autorisierten Zitat' und vom Bedauern eines falschen Eindrucks aus der Affäre", findet das Blatt und rät dem Politiker, sich zu schämen und voll Reue zu entschuldigen. "So - aber auch nur so - könnte aus der parteipolitischen Blutgrätsche doch noch der Impuls zur ebenso wichtigen wie heiklen Frage kommen: Wie steht es um das 'Recht' von Politikern auf ihr Privatleben?"
Quelle: ntv.de