Eigengewächse des Terrors USA fürchten Radikalisierung daheim
16.03.2010, 12:35 Uhr
FBI-Agenten führen Najibullah Zazi (r), Afghane mit US-Wohnsitz, in Aurora (Colorado) ab. Zazi plante angeblich nach einem Terrortraining in Pakistan in New York eine "Märtyrer-Operation". (Archivbild vom 19.09.2009)
(Foto: picture alliance / dpa)
Nur 14 der 14.000 Opfer von Gewaltverbrechen in den USA im Jahr 2009 wurden von militanten Muslimen getötet. Dennoch warnen Forscher vor dem "Homegrown Terror".
Ein muslimischer Armeepsychiater richtet auf einer texanischen Militärbasis ein Blutbad an. Eine blonde Amerikanerin aus Pennsylvania konvertiert zum Islam und soll nun in ein Mordkomplott gegen einen schwedischen Mohammed-Karikaturisten verwickelt sein. Ein junger Mann mit somalischen Wurzeln und El-Kaida-Kontakten arbeitet jahrelang in US-Atomkraftwerken. Drei von sechs Fällen allein aus den letzten sechs Monaten, die Amerika schockten. Die Furcht wächst vor dem "Homegrown Terror", der Terrorgefahr im eigenen Haus. US-Experten sprechen schon von einem "neuen und besorgniserregenden Trend".
Etwa zehn Anschläge von militanten Muslimen hatten im vergangenen Jahr 14 Tote zur Folge, ermittelte die "New York Times". Ein Bruchteil der rund 14.000 Opfer von Gewaltverbrechen. Doch hielten die Anti-Terror-Behörden radikalisierte Amerikaner für eine besonders große Gefahr - weil sie so leicht unentdeckt bleibt.
US-Bürger mit ausländischen Wurzel gefährlich
"US-Bürger und Menschen mit US-Wohnsitz sind lukratives Kapital für globale Terrororganisationen", meinen Rick Nelson und Ben Bodurian vom renommierten Zentrum für Strategische und Internationale Studien (CSIS) in Washington. Ohne größere Hindernisse können sie ins Ausland reisen, Kontakte zu Terrorgruppen schmieden, den Umgang mit Waffen und Sprengstoff lernen, nach Hause zurückkehren - und Anschläge verüben. Als besonders gefährlich gelten dabei die terroristischen Eigengewächse, die zugleich in der amerikanischen wie auch einer ausländischen Kultur daheim sind, schreiben Nelson, Direktor des Anti-Terror-Programms des CSIS, und Terrorforscher Bodurian in einer unlängst veröffentlichten Studie.
Die Alarmglocken lässt Armeepsychiater Nidal Malik Hassan schrillen, der im November auf der Militärbasis Fort Hood 13 Menschen umbringt. David Coleman Headley, US-Bürger mit pakistanischen Wurzeln, der in die verheerenden Bombay-Anschläge vom November 2008 verstrickt sein soll, rüttelte ebenso auf. Oder der Fall von zwei Dutzend Amerikanern mit somalischem Hintergrund, die sich in dem afrikanischen Krisenland Extremisten anschlossen. Oder der von Najibullah Zazi, Afghane mit US-Wohnsitz, der nach einem Terrortraining in Pakistan in New York eine "Märtyrer-Operation" plant - für Nelson und Bodurian ein herausragendes Beispiel für "die beste Chance für El Kaida und andere globalen Terrororganisationen für einen großen Anschlag in den Vereinigten Staaten".
Seelenfänger tummeln sich in Islamisten-Chaträumen
Armut oder eine gesellschaftliche Randexistenz als Erklärung für die religiöse Radikalisierung kämen in den genannten Fällen kaum infrage, befinden die Forscher. Fast überall fände sich hingegen eine Art Botschafter, ein radikaler Prediger oder ein Werber für eine Extremistengruppe, der als Brücke in die Welt des Terrors diente.
Zentrales Kommunikationsmittel ist dabei das Internet. Auf Facebook, YouTube oder in tausenden von Islamisten-Chaträumen tummeln sich die radikalen Seelenfänger. Den Kampf der US-Behörden dagegen nennen die Autoren "defizitär". "Die grenzenlose Reichweite des Netzes erlaubt eine relativ ungehinderte Verbreitung radikalen Materials", schreiben sie. Wollen die USA Erfolg, bräuchten sie "Personal, Training und Technologie von einzigartiger Qualität".
Armut und Randexistenz sind keine Gründe
Wer den Extremisten ins Netz ging, ließ sich nach Erkenntnissen der Terrorforscher häufig von der Propaganda locken, der Westen befände sich im Krieg mit dem Islam. Najibullah Zazi sah sich als Kämpfer für afghanische Zivilisten. Nidal Malik Hassan gingen die Kriege im Irak und in Afghanistan nicht aus dem Kopf. Die Amerikaner mit somalischen Wurzeln sahen im Heimatland ihrer Eltern islamische Glaubensbrüder verfolgt. Die Beispiele "sind ein Hinweis, dass etwas anderes als Armut oder ein Leben am sozialen Rand hinter dem Anstieg des Extremismus im Inland steckt", meinen Nelson und Bodurian.
Die Strategie-Experten empfehlen, El Kaida und Konsorten das Argument zu entreißen, der Westen und vor allem die USA wollten dem Islam den Garaus machen. Zwar habe das Weiße Haus unter Präsident Barack Obama den Begriff "Krieg gegen den radikalen Islam" schon entsorgt. In seiner Kairoer Rede streckte Obama den Muslimen zudem die Hand entgegen, gegen allerlei Widrigkeiten treibt er die Schließung des umstrittenen Gefangenenlagers Guantánamo voran.
Partnerschaft statt Militäreinsatz stärken
Doch müssten die USA noch weiter gehen, fordern Nelson und Bodurian. Denn der organisierte Terror nehme auch gerne - und erfolgreich - die US-Militärpräsenz in islamischen Ländern als Rechtfertigung her. Statt zum offenen Einsatz der Streitkräfte zu greifen, sollte Washington die Partnerschaft mit Staaten stärken, die von extremistischer Brutalität bedroht sind. Denn: "Dieser Typ Partnerschaft - viel eher als eine groß angelegte, direkte militärische Intervention - wird wahrscheinlich den größten Erfolg im Kampf gegen Terrorismus und radikale Gewalt bringen."
Quelle: ntv.de, Frank Brandmaier, dpa