Dossier

Bericht aus Jerusalem Unruhen nach dem Mittagsgebet

von Ulrich W. Sahm

Der Imam der Al-Aksa-Moschee hetzte während des Mittagsgebets: gegen die Kreuzfahrer, die Juden, den Versuch, durch archäologische Ausgrabungen eine Verknüpfung zwischen Juden und Jerusalem herzustellen. Nur etwa 6.000 Moslems, alle älter als 45, durften die Spaliere israelischer Anti-Demonstrations-Polizei zu den muslimischen Heiligtümern passieren. 2.700 Polizisten waren allein rund um die Altstadt Jerusalems zusammengezogen worden, um dem erwarteten Ausbruch von Gewalt zu begegnen.

Kaum war das Gebet beendet, rannten mit Steinen bewaffnete Jugendliche, die sich offenbar schon seit Tagen im Gelände versteckt halten, in Richtung Mugrabi-Tor. Dessen Eingangsrampe war 2004 durch Erdbeben und Regenfälle teilweise eingestürzt. Von den "zuständigen Behörden" beschlossene Bauarbeiten an dieser Rampe außerhalb des Tempelbergs hatten die Unruhen ausgelöst. "Wir mussten befürchten, dass die Jugendlichen den Vorplatz der Klagemauer mit Steinen bewerfen", sagte Polizeichef Mosche Karadi und gab den Befehl zum Sturm.

Hunderte schwerbewaffnete Polizisten stürmten dem Heiligen Berg, schleuderten Tränengas in die Menge der Moslems und ließen Schockgranaten krachen. 17 Polizisten wurden verletzt, obgleich der arabische Abgeordnete Taleb el Sana behauptete: "Die Moslems haben doch gar keine Steine geworfen, bestenfalls hier mal einen und da mal einen." Durch die Schüsse der Polizisten wurden auch dutzende Moslems verletzt. Sie verschanzten sich innerhalb der Al-Aksa-Moschee. Deren riesige Eisentore wurden von außen mit Ketten verschlossen. "Die heilige Moschee ist gerade ein Gefängnis", erklärt vom Innern der Moschee per Handy ein anderer israelisch-arabischer Abgeordneter dem israelischen Rundfunk. Es sollte Stunden dauern, bis Sanitätern der Zutritt zum Gotteshaus genehmigt wurde, um die Verletzten zu behandeln.

Ausgelöst wurden die Unruhen durch den Baubeginn an der eingestürzten Rampe, die aus Häuserruinen, alten Gewölben und 2.000 Jahre altem Schutt besteht. Wegen Einsturzgefahr und Lebensgefahr für jeden, der durch das Mugrabi-Tor den "Haram Asherif" (das erhabene Heiligtum, den Tempelberg) betreten will, beschlossen die israelische Antikenbehörde und die Jerusalemer Stadtverwaltung, eine Brücke zu errichten. Teile der Rampe, wo sie die Westmauer des Tempelbergs berührt, sollten stehen bleiben. Dort, wo Stützpfeiler für die Brücke errichtet werden sollten, muss gemäß dem Gesetz erst einmal eine Notgrabung der Antikenbehörde den historischen Untergrund freilegen, um keine archäologischen Relikte zu zerstören.

Miri Eisin, Sprecherin des Ministerpräsidenten Ehud Olmert, sagte auf Anfrage, dass "alle relevanten Stellen" über den Baubeschluss informiert waren, darunter die Antikenbehörde, die Stadtverwaltung, Polizei und Geheimdienste sowie der Jerusalemminister Jakov Edri. Da es sich um eine "einfache, notwendige Reparatur einer einsturzgefährdeten Zugangsrampe zum Tempelberg" handelte, sei das Thema nicht dem Kabinett vorgelegt worden. Eisin bezichtigte die "verschiedenen muslimischen Sprecher" der "Lüge", wenn sie behaupteten, dass diese Arbeiten auf oder unter dem Tempelberg oder auch nur in der Nähe der Heiligen Stätten stattfänden.

Einer dieser Sprecher, etwa Taleb el Sana, machte die politischen Absichten der muslimischen Proteste klar: "Wir sind dagegen, dass die Juden durch Ausgrabungen ihre historische Verbindung zu Jerusalem beweisen und verwischen, dass Jerusalem eine islamische Stadt ist."

Ungeachtet der Frage, ob die Israelis provozierten oder ob die Moslems die Gelegenheit nutzten, israelische Aktivitäten in der heiligen Stadt zu verhindern, hat sich am Tempelberg schon schlimmste Gewalt entzündet. Durch Arafats Behauptung 1996, dass die Israelis "unter" der Moschee einen Tunnel graben, obgleich es sich um einen 3.000 Jahre alten, längst bestehenden Tunnel außerhalb des Tempelberges handelte, kam es zu den "Tunnel-Unruhen" mit 80 Toten. Und im September 2000, einen Tag nach Ariel Scharons demonstrativer Visite auf dem Tempelberg (aber nicht in den Moscheen), entzündete sich die sogenannte Al-Aksa-Intifada. Sie hat über 5.000 Tote auf beiden Seiten gekostet.

Quelle: ntv.de

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