Amputation statt Operation Ankaras Kosovo
23.02.2008, 14:53 UhrZur Beschreibung des Einmarschs der Türkei in den Irak verwendet das offizielle Ankara gern den Begriff Operation. Das stimmt nur bedingt. Wenn in den Bergen des Nordens eine Operation stattfindet, so ist dies vor allem eine Amputation, eine Amputation des Völkerrechts. Man kann es drehen, wie man will: Es handelt sich um eine Aggression.
Mit der Präsenz von bis zu 10.000 Soldaten in den Bergen Kurdistans droht im Wespennest Irak eine weitere Eskalation. Die Verwaltung der kurdischen Autonomiegebiete im irakischen Erbil hat schon 2.000 Peschmergas in die Nähe des Gebiets entsandt, in dem sich Türken und Kämpfer der Kurdischen Arbeiterpartei PKK heftige Kämpfe liefern. Es bleibt zu hoffen, dass der gesunde Menschenverstand obsiegt und es zu keinem Zusammenstoß zwischen Autonomiearmee und türkischen Streitkräften kommt.
Das Einzige, was bei dem angeblichen Todesstoß gegen die PKK herauskommt, ist, dass die Organisation noch mehr Zulauf erhält und westanatolische Städte mit Terroraktionen überzieht. Und der bislang weitgehend friedliche – kurdische – Norden des Irak zum Schauplatz militärischer Auseinandersetzungen wird.
Die türkische Regierung weiß, dass sie die Kurdenfrage im eigenen Land nicht durch eine Invasion in einem anderen Land lösen kann. Auch im türkischen Teil Kurdistans werden durch Kugeln und Bomben keine Fortschritte möglich sein. Wenn Premier Tayyip Erdogan und die Generäle trotzdem immer wieder auf die militärische Karte setzen, wollen sie damit nur von ihrer mangelnden Bereitschaft ablenken, das Problem politisch zu bereinigen. Zu groß ist die Furcht vor einem kurdischen Staat unter Einschluss von Teilen der Türkei. Trotz kleiner Zugeständnisse werden den Kurden in der Türkei fundamentale Bürgerrechte vorenthalten. Der Knackpunkt ist: Die Nichtanerkennung der Kurden als nationale Minderheit gehört zum kemalistischen Selbstverständnis der neuzeitlichen Türkei. Die Gewährung von Autonomierechten würde den Staat in seiner bestehenden Form in Frage stellen. Hier ist Demokratisierung gefragt, die sich gar nicht notwendigerweise an westliche Standards halten, sondern Eigenheiten und Tradition der Region berücksichtigen muss. Und auch die immer wieder versprochene wirtschaftliche Belebung Südostanatoliens muss endlich Wirklichkeit werden.
Die hilflosen Reaktionen der USA zeigen das Dilemma ihres imperialen Anspruchs: Einerseits sind sie auf das Wohlwollen der irakischen Kurden, des einzigen verlässlichen Bündnispartners im Zweistromland angewiesen. Andererseits braucht Washington das NATO-Mitglied Türkei als Hinterland für die US Army im Irak.
Deutlich wird auch die wachsende Bedeutungslosigkeit der Atlantischen Allianz, die nicht fähig, vielleicht auch nicht gewillt ist, die türkische Regierung in die Schranken zu weisen. Was eigentlich meint die Europäische Kommission, wenn sie Ankara vor einer "übertriebenen Militäraktion" warnt? Deutsche Stellungnahmen waren auch schon mal deutlicher, wenn es um ähnliche Vorgänge in anderen Teilen der Welt ging. Vom hilflos erhobenen Zeigefinger des UN-Generalsekretärs ganz zu schweigen.
Quelle: ntv.de