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Zwischenruf Der Bock ist gesprungen

Das Kapital ist per se nicht moralisch. Drum hat es in unserem Grundgesetz den bekannten Hinweis auf das Eigentum, das verpflichtet. Dies wiederum verpflichtet den Staat, dafür zu sorgen, dass das Kapital keine Bocksprünge macht.

Dieser Aufgabe sind die Regierungen in den vergangenen Jahren immer unzureichender nachgekommen. Die Rahmenbedingungen wurden immer günstiger: neue Steuervergünstigungen, Beihilfen, Abschreibungsmöglichkeiten wurden geschaffen. Wilden und unüberschaubaren Fondskonstruktionen wurden ungehinderte Entfaltungsmöglichkeiten gewährt. Die Arbeit der Kontrollinstitutionen geriet zur Farce. Die Lobbyisten gingen in den Ministerien nicht nur ein und aus. Praktischerweise waren Mitarbeiter von Interessenverbänden gleichzeitig in Regierungsinstitutionen angestellt und arbeiteten so direkt an Gesetzesvorlagen mit. Manager wurden hochgejubelt und in Beraterfunktionen der Regierung berufen. Sie erklärten Kanzlerin und Ministern die Welt der Wirtschaft, Arbeitnehmervertreter wurden gelegentlich zu Beratungen geladen. Der Satz "Die Wirtschaft findet in der Wirtschaft statt" war mehr als ein geflügeltes Wort, er war politische Philosophie.

Unfehlbarkeit suggeriert

Die Hemmschwelle der Manager wurde in dem Maße geringer, in dem ihnen die eigene Unfehlbarkeit suggeriert wurde. Das Ergebnis sind Finanzkrise und drohende Rezession. In ihrem Wirken fühlten sich Wirtschaftsbosse wie Götter, für die die Gesetze der Menschen nicht gelten. Sie überschritten mutmaßlich die Grenze zur Kriminalität. Ex-Postchef Klaus Zumwinkel soll Millionen am Fiskus vorbei nach Liechtenstein geschleust haben. Der frühere Siemensvorstand Heinrich von Pierer habe von den Schmiergeldzahlungen des Unternehmens gewusst, heißt es. Das Wirtschaftsprüfungsunternehmen KPMG habe das Ganze gedeckt. Die Landesbank Baden-Württemberg muss Vorwürfen gegenübertreten, ihre Verluste seien auf kriminelle Machenschaften zurückzuführen.

In den USA wird einer der obersten Finanztycoons zum Outlaw: Dem ehemaligen Chef der Technologiebörse Nasdaq, Bernard L. Madoff, wird vorgeworfen, Anleger um 50 Milliarden Dollar geprellt zu haben. Mehrere ausländische Finanzeinrichtungen, darunter die halbstaatliche Royal Bank of Scotland, sind in Mitleidenschaft gezogen. Ob auch deutsche Geldinstitute auf den Betrug hereingefallen sind, ist bislang nicht bekannt. Während die Regierung in Washington bedrohten Banken mit 700 Milliarden Dollar beispringen will, belaufen sich die Bezüge der Mitarbeiter der sechs größten Banken der Vereinigten Staaten auf sage und schreibe 70 Milliarden Dollar. In diesem Lichte mutet der mutmaßliche Versuch des Gouverneurs des US-Bundesstaates Illinois, Rod Blagojevich, den durch die Wahl von Barack Obama freiwerdenden Posten des Senators für 500.000 zu verscherbeln, nachgerade wie ein Kavaliersdelikt an.

Wären die Urteile in Sachen Mannesmann anders ausgefallen, hier in Deutschland hätte ein Zeichen gesetzt werden können. Fände der Prozess heute statt, wären sie anders ausgefallen. Doch nun ist der Bock gesprungen.

Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.

Quelle: ntv.de

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