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Geiselnahme in Manila Die ungehörten Schreie

Von Hommy Dara, n-tv Asienkorrespondent

Keine Frage, das Entführen von Kindern ist eine Straftat. Doch was sich in Manila am Mittwoch abspielte, war in dieser Form eines der ungewöhnlichsten Verbrechen der modernen Zeit. Jun Ducat wollte kein Lösegeld, er wollte vermutlich nicht einmal sich selbst profilieren. Das Wohl der Kinder liegt ihm am Herzen. Bizarrerweise entführte er ausgerechnet jene, deren Rechte seine Mission sind.

Der Leiter einer Kindertagesstätte ist der Polizei kein Unbekannter. Vor etwa 20 Jahren nahm er zwei Priester als Geiseln, um gegen pompöse Bauten der katholischen Kirche zu protestieren, während gut 20 Prozent der Kinder in den Philippinen nicht nur miserabel gebildet sind, sondern auch täglich Hunger leiden. Die Geiselnahme endete unblutig und Ducat ergab sich. Um zu verhindern, dass der Mann ein Martyrer werde, verbrachte er nur kurze Zeit hinter Gittern und wurde ins Reich der Bedeutungslosigkeit zurück geschickt. Seither hat sich die Situation für die Kinder in den Philippinen eher verschlechtert.

Nach dem Sturz des Diktators Ferdinand Marcos begann eine wirtschaftssoziale Oligarchie, die nur auf dem Papier eine Demokratie ist. Die gesamte Ökonomie des Landes wird von weniger als 100 Bonzen betrieben, die mit prall gefüllten Briefumschlägen fast jede politische Entscheidung beeinflussen. So auch das Bildungssystem, das ohne Geld für Schul- und Studiengebühren selbst für hochbegabte Kinder in den Slums von Manila wohl für immer ein Traum bleiben wird. Die finanzielle Elite bleibt lieber unter sich.

Die Kinder in der ehemaligen Kolonie Spaniens sind, nicht zuletzt auch durch das Verhütungsverbot der mächtigen katholischen Kirche in den Philippinen, ein Massenprodukt, das eigentlich keinen mehr interessiert - außer den "kriminellen" Jun Ducat. Man kommt nicht um die Frage herum, wer hier der Verbrecher ist: Der von Korruption durchsetzte Politiker des Inselreiches oder der Einzelkämpfer, der verzweifelt die Missstände um das Leben von Kindern hervorheben will und seit Jahrzehnten ungehört gegen eine Mauer des Schweigens brüllt?

Die undurchlässige Membran zwischen Wohlstand, Macht und Ruhm auf der einen Seite und den hoffnungslosen Seelen auf der anderen Seite wollte Jun Ducat ankratzen. Hunderte hielten brennende Kerzen in ihren Händen, als der "Verbrecher" aus dem Bus stieg und sich widerstandslos festnehmen ließ - aus tiefer Solidarität mit ihm. Ducat hat aber etwas geschafft: Indem ihm teilweise hochrangige Senatoren im Prinzip zustimmen, hat er die Politik des Landes gespalten. Während die einen sagen, er habe durch eine zwar kriminelle Handlung den Finger auf einen wunden Punkt gelegt, ließ es sich ein anderer Politiker des Landes - berühmt für seine sonntäglichen Besuche im Gotteshaus - nicht nehmen, Ducat als "Terroristen" zu betiteln.

Dem überzeugten Katholiken sei folgendes Matthäus-Zitat mit auf den Weg gegeben: "Du Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge; danach sieh zu, wie du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehst."

Quelle: ntv.de

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