Schauspielkunst und Realitätsverdrängung Drachme, ick hör dir trapsen
10.02.2012, 13:25 Uhr
Trotz unbefriedigender Ergebnisse gut gelaunt: Evangelos Venizelos.
(Foto: REUTERS)
Trotz aller Bekundungen aus Athen: Griechenland hat seine Hausaufgaben nicht vollständig gemacht. Bei den Verhandlungspartnern ist man zunehmend genervt und gibt die von den Griechen dringend benötigten Milliarden noch nicht frei. Gleichzeitig wird man nicht müde zu betonen, dass ein Ausscheiden Griechenlands für die Eurozone verkraftbar sei.
Filmfestspiele sind in der Regel ein Highlight für jeden Schauspieler. In der deutschen Hauptstadt begann die 62. Berlinale mit dem Film "Lebe wohl, meine Königin!", der - höflich gesagt - verhaltene Kritiken erhalten hat. Der Streifen über den französischen König Ludwig XVI. und seine Gattin Marie Antoinette, deren Köpfe 1793 unter der Guillotine rollten, riss niemanden so richtig aus dem Kinosessel.
Die Hauptdarsteller Diane Kruger und Xavier Beauvois fanden am Tag der Berlinale-Eröffnung ihren Meister. In Athen und Brüssel wurde wahre Schauspielkunst abgeliefert. Wie ein Filmstar präsentierte sich Griechenlands Finanzminister Evangelos Venizelos vor dem Eurogruppentreffen. Mit breitem Grinsen verkündete der Pasok-Politiker vor Pressevertretern das aus seiner Sicht freudige Ergebnis tagelanger Verhandlungen bei Ministerpräsident Lukas Papademos. , verbreitete Venizelos, dass sein Land die Bedingungen der Troika erfüllt habe und Athen den Weg für weitere Milliardenhilfen freigemacht habe. Dafür gebührt dem Schwergewicht ein Darstellerpreis. Weil der "Goldene Bär" nun wirklich nur in Berlin verliehen wird, muss ein neuer Preis her - vielleicht verleiht Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker Venizelos den extra für ihn geschaffenen "Goldenen Herkules".
Aber danach sieht es nicht aus. Der Luxemburger ist sauer und gibt sich auch keine Mühe mehr, dies zu verbergen. Auf die Frage, ob man langsam die Geduld mit den Griechen verliere, sagte Juncker, der eigentlich Diplomat durch und durch ist, nur lapidar: "ja". Wolfgang Schäuble konnte sich wenigstens noch zu einem Lächeln durchringen, als er verkündete, dass es beim dem Eurogruppentreffen kein Ergebnis geben werde. Aber für einen Filmpreis reicht es weder bei Juncker noch beim Bundesfinanzminister. Sie sind schon zu oft von den griechischen Politikern hinters Licht geführt worden. Holzauge sei wachsam, ist die Devise in Brüssel und Berlin.
An diesen kalten Tagen muss konstatiert werden: In Griechenland ist die Kuh noch nicht vom Eis. Da nutzt es auch nichts, dass Venizelos vom Tragödien- ins Komödienfach wechselte. Die großen Parteien Pasok und Nea Dimokratia (ND) belauern sich. Dazu kommt noch die rechtspopulistische Laos, auf Deutsch "Orthodoxer Volksalarm", deren Chef Giorgos Karatzaferis dieser Bezeichnung alle Ehre macht. Er geht von der Fahne und lehnt das Sparpaket ab. In der Villa Maximos, wo Papademos über das griechische Elend wacht, gaben sich Koalitionäre und Troika-Vertreter gegenseitig die Klinke in die Hand.
So viel ist klar: 3,3 Milliarden Euro sollen im laufenden Jahr eingespart werden. Das wurde jedenfalls mit viel Pathos verkündet. Aber über das Wie gab es ein Hauen und Stechen: ND-Chef Antonis Samaras weigerte sich, weitere 300 Millionen Euro bei den Rentnern einzusparen. Natürlich ist dabei Eigennutz im mit Spiel, denn seine Konservativen wollen es sich bei den bald anstehenden Wahlen nicht endgültig mit dieser wichtigen Wählergruppe verscherzen. Die sozialistische Pasok zierte sich hinsichtlich der Einschnitte beim Mindestlohn, fürchtete sie doch, dass ihre ohnehin schon dramatische geschrumpfte Wählerschar noch kleiner wird. Aber die Papandreou-Truppe musste diese Kröte schlucken: Der Mindestlohn geht um 22 Prozent runter. Das Dramatische daran ist, dass alle Löhne an ihm gebunden sind. Wo nun die offen gebliebenen 300 Millionen eingespart werden sollen, ist noch unklar. Dabei ist der Zeitdruck groß. In Brüssel ist man jedenfalls aufgrund dieser unklaren Sachlage "not amused" und verweigert die Freigabe des Geldes. In Athen muss man wieder einmal nachsitzen.
Bei EU, IWF und EZB ist man sich im Klaren, dass bloßes Sparen Griechenland nicht aus der Misere helfen wird. Die Wirtschaft schrumpft weiter – 2011 waren es fünf Prozent. Die Arbeitslosenquote beträgt nunmehr mehr als 20 Prozent. Aufgrund der schlechten Erfahrungen mit den griechischen Verantwortlichen lässt der Druck der Partner aber - richtigerweise - nicht nach. Viel wichtiger ist, dass Athen endlich dringend notwendige Strukturreformen in Angriff nimmt. Auf dem Gebiet der Privatisierung tut sich viel zu wenig. .
Trotz aller verbaler Bekundungen, hat es den Anschein, dass die Partner Griechenlands Ausscheiden aus der Eurozone vorbereiten. Fast täglich gibt es entsprechende Äußerungen. So halten die niederländische EU-Kommissarin für die Digitale Agenda, Neelie Kroes, und FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle einen solchen Schritt für verkraftbar für die Währungsunion.
Um einen endgültigen Staatsbankrott im März abzuwenden, gibt es für Griechenland weiter viel zu tun. Eine Sitzung wird die andere jagen. Neben Troika und Eurogruppe gibt es parallel dazu noch die Verhandlungen Athens mit den privaten Gläubigern. und will den Anleiheumtausch für den angestrebten Schuldenerlass Griechenlands durch private Gläubiger absichern. Dennoch sind das Rechnungen mit vielen Unbekannten. Dazu kommt ein immer noch nicht völlig einsichtiger Patient. Geht das alles schief, erhält Staatsschauspieler Venizelos den "Goldenen Pleitegeier". Dann wird ein Berliner Sprichwort in abgewandelter Form Aktualität erlangen: "Drachme, ick hör dir trapsen."
Quelle: ntv.de