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Joachim Gauck ist Bundespräsident Eine Hoffnung, ein Danke, ein Tschüss

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Es ist vollbracht. Wulff ist Geschichte, der neue Schlossherr von Bellevue heißt Gauck. Der 72-Jährige soll jetzt einen und darf dennoch provozieren, darf die deutsche Seele streicheln und gleichzeitig piesacken. Dabei muss er die angekratzte Würde des Amtes wieder reparieren. Klarsfeld gehört unterdessen Respekt gezollt. Und Wulff hat etwas Ruhe verdient.

Joachim Gauck, der Neue im Berliner Schloss Bellevue.

Joachim Gauck, der Neue im Berliner Schloss Bellevue.

(Foto: dpa)

Deutschland hat einen neuen Bundespräsidenten: Joachim Gauck. Erwartet unspannend verlief die Wahl, entsprechend unaufgeregt, aber immerhin glänzend geleitet von dem gut gelaunten Bundestagspräsidenten Norbert Lammert, war die Zusammenkunft der Bundesversammlung. Der 72-jährige Gauck erhielt im ersten Wahlgang 991 von 1.240 möglichen Delegiertenstimmen. Auf die von den Linken aufgestellte Beate Klarsfeld entfielen 126 Stimmen der Bundesversammlung, 3 auf den Kandidaten der rechtsextremen NPD. Beachtliche 108 Delegierte enthielten sich. Um 14.24 Uhr sagte Gauck: "Herr Präsident, ich nehme die Wahl an." Blumen, Händeschütteln, klatschende Parlamentarier, Nationalhymne, ein feierlicher Moment. So weit, so gut. Was gibt es noch zu sagen?

Zunächst zum neuen Ersten Bürger. Dieser sei "konservativ und anarchistisch" zugleich, urteilt Wolfgang Thierse, Vizepräsident des Bundestages. Und da hat er Recht. Gauck ist ein plaudernder Gelehrter, ein Gedanken-Spieler, der die Weisheiten locker aus der Tasche seiner Lebenserfahrung zieht. Dabei lohnt das genaue Hinhören. Es sind nämlich die Nuancen, die seine Rede auszeichnen. Immer wieder kann sich fast jeder wiederfinden in seinem Denken – und immer wieder kann sich fast jeder irritiert und herausgefordert, ja, oft auch provoziert fühlen. Und zwischen beiden inneren Zuständen liegen manchmal nur drei, vier Sätze.

Klarsfeld im Kreis der linken Köpfe.

Klarsfeld im Kreis der linken Köpfe.

(Foto: dapd)

Dieses, nennen wir es Gauck'sches Dissonanzpotential, ist ein Glück für das Amt. Und zwar gerade, weil es so unglücklich behandelt und so fade, geradezu betulich ausgeführt wurde in den letzten beiden Jahren. Die Ambition, etwas zu sein, das lehrt der Präsidentenwechsel, ersetzt noch lange nicht die Fähigkeit, auch wirklich etwas Bedeutsames, Aufregendes, Wichtiges sagen zu können. In seiner ersten, sehr kurzen Ansprache als Bundespräsident verzichtete Gauck natürlich auf eine große Überraschung. Er erinnerte an seine "innere Bewegung" während der ersten freien Wahl in der DDR. "Ich werde niemals, niemals eine Wahl versäumen", so Gauck angesichts sinkender Wahlbeteiligungen mit einem appellativem Unterton. Zudem versprach Gauck, für eine Annäherung zwischen Regierenden und Regierten zu kämpfen und dabei lernen zu wollen: "Ich will mich neu auf Themen und Probleme in Europa einlassen." Ein Wink an seine Kritiker, denen Gaucks Lebensthema "Freiheit" zu wenig ist.

Ein Satz, der in jeder Zeitung stand und tausendfach im Internet, steht auch hier nochmal: Die Erwartungen an den Neuen im Schloss Bellevue sind hoch. Doch was heißt das eigentlich genau? Eigentlich doch nur, dass die Latte dank der beiden zurückgetretenen Vorgänger unglaublich tief liegt. Gauck braucht sich hier also nicht irritieren lassen. Er kann sich (fast) als Konsenskandidat bezeichnen. Und er ist – ein entscheidender Punkt – kein Parteien-Präsident. Also kann und soll er uns die Leviten lesen, sollte anregen, darf erinnern und mahnen und motivieren. Kurz: Er ist gebeten, ein An- und Aufreger zu sein. Hauptsache, er hat nicht irgendwann in einem Baumarkt eine Packung Schrauben mitgehen lassen.

Linke fair

Nun zu Beate Klarsfeld, von der Linkspartei holperig aufgestellt, jetzt die faire Verliererin. Die Demokratie muss ihr danke dafür sagen, dass sie sich überrascht und unvorbereitet einer aussichtlosen Prozedur gestellt hat, die aber doch so wichtig ist für das Verständnis des politischen Systems. Ideen- und Personenwettbewerb ist hier schließlich das A und O.

Umso schmerzhafter wirkt das Gezicke im Vorfeld nach. Zur Erinnerung: Union, SPD und FDP ließen Klarsfeld gar nicht erst vorsprechen. Ein unwürdiges Schauspiel. Warum? Erstens, weil Klarsfeld in aller Welt für ihr Lebenswerk hohes Ansehen genießt, daran sollten und werden auch nicht die unglücklichen 2000 DDR-D-Mark etwas ändern, die sie hoffentlich nur in Übereifer und Naivität annahm. Und zweitens, weil es einfach gutes Benehmen gewesen wäre für Demokraten. Das Parlament als Kindergarten – unschön. Man muss die Linke nicht bewundern, um ihr für das Gespräch mit dem von ihr ungeliebten Gauck zumindest eine Fairness-Medaille zu überreichen. Umso bitterer aber, dass das extra erwähnt werden muss.

Zum Schluss noch zu Christian Wulff, Gaucks Vorgänger. Es ist einfach, auf jemanden einzuprügeln, der am Boden liegt. Und Wulff liegt am Boden. Der Große Zapfenstreich, der zum Vuvuzela-Event geriet, hat ihn nochmal einen Batzen Respekt gekostet. Doch nicht vergessen: Wulff als Bundespräsident war das Produkt eines strategischen Schachzuges von Kanzlerin Angela Merkel. Sie kämpfte den Niedersachsen ins höchste Staatsamt, wurde einen weiteren Konkurrenten los und bekam als Zusatzgeschenk erstmal Ruhe im Schlosspark. Das Amt wurde an dieser Stelle bereits beschädigt, weil zweckentfremdet.

Und damit sollte auch die Ehrensold-Debatte beendet sein - und der Rest drumherum. Auto, Mitarbeiter, Büro - ja, nein, vielleicht. Zur vielbeschworenen Würde des Amtes gehört auch, dass seine Träger anschließend nicht komplett demontiert werden. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft in Sachen Hannover-Klüngel sind schon bitter genug. Die 200.000 Euro im Jahr sind nun ein schmerzhaftes, aber selbstverständliches Lehrgeld für die bereits erwähnte Zweckentfremdung der Präsidentenstelle.

Nach Wulff ist Gauck. Und damit ein Neuanfang. Der erste verdient jetzt Ruhe, der zweite Wohlwollen. Der neue Präsident macht dem Land in den nächsten fünf Jahren hoffentlich Freude, fördert Debatten und wirkt als moralisches Korrektiv, als echte Orientierung. Dann kehrt auch die Würde zurück.

Quelle: ntv.de

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