NSU-Ausschuss legt Abschlussbericht vor Gefährliches Schwadronieren
22.08.2013, 19:51 Uhr
Sebastian Edathy (5. v.r.) spricht von "gewissen Stereotypen", die sich unter Polizeibeamten entwickeln.
(Foto: dpa)
Die Mitglieder des NSU-Untersuchungsausschusses teilen kräftig aus. Über die Pannen bei den Ermittlungen zum rechtsextremen Terrortrio fällen sie ein vernichtendes Urteil. Nur ein Wort will ihnen einfach nicht über die Lippen gehen. Ein schwerer Fehler.
Die Mitglieder des NSU-Untersuchungsausschusses geizen nach ihrer letzten Sitzung nicht mit Kritik: Bei der Vorstellung ihres Abschlussberichts werfen sie den Ermittlungsbehörden "systemisches Versagen" vor. Sie unterstellen ihnen ein "historisch beispielloses Desaster", sprechen von einer "beschämenden Niederlage". Harte Worte. Doch die Kritik an Polizei und Verfassungsschutzämtern ist berechtigt und notwendig. Die Mordserie der rechtsextremen NSU hat schließlich vor allem eines gezeigt: Der demokratische Rechtsstaat in Deutschland ist nicht perfekt. Mit ihren drastischen Formulierungen machen die Parlamentarier des Untersuchungsausschusses nun aber deutlich, dass die Ordnung der Bundesrepublik ausreichend stabil ist, um Unzulänglichkeiten zu entdecken und ohne Scheu zu benennen. Ein erster Schritt, um verlorenes Vertrauen wieder aufzubauen. Doch die Mission des Ausschusses ist damit nicht erfüllt.

Droht Deutschland Gefahr durch Rechtsextreme?
In einem Punkt lassen die Abgeordneten klare Worte schmerzlich vermissen. Und zwar ausgerechnet beim Rassismus, der sich aus den Normen und der Arbeitspraxis der Ermittlungsbehörden oder gar der allgemeinen Wahrnehmung der Gesellschaft speist. Der Ausschuss-Vorsitzende Sebastian Edathy sagte: Es gebe in den Behörden vereinzelt Rassisten, die dort nicht hingehörten. Von einem "strukturellen Rassismus" wollte der SPD-Politiker aber nicht sprechen. Ein Schluss, der nicht nur falsch ist. Er ist absurd und gefährlich.
Die "Döner-Morde"
Der NSU zeichnet für zehn Morde in der Zeit zwischen 2000 und 2007 verantwortlich. Neun davon an türkisch- und griechischstämmigen Zuwanderern. Ihr Migrationshintergrund war praktisch das einzige verbindende Merkmal. Doch statt ein rechtsextremes Motiv zu untersuchen, gingen die Ermittler jahrelang davon aus, dass es sich um Akte der organisierten Kriminalität handelte. Ein deutliches Zeichen dafür, wie vorurteilsbehaftet die Beamten agierten.
Dass einige der Ermittler die Gewaltserie dann noch als "Döner-Morde" bezeichneten und eine Sondereinheit namens "Soko Bosporus" gründeten, so als sei von vornherein klar, dass die Taten nichts mit der deutschen Gesellschaft zu tun haben könnten, verdeutlichen diese verschrobene Wahrnehmung.
Etliche weitere Details aus dem Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses belegen, dass Rassismus in Behörden nicht nur ein Phänomen ist, das einige Individuen betrifft. Zumal bei den Ermittlungen zum NSU ja nicht eine, sondern etliche Behörden beteiligt waren, die alle die deutlichen Signale eines rechtsextremen Hintergunds übersahen.
Allein die Linke wagt es aber im NSU-Bericht den Begriff "struktureller Rassismus" zu verwenden – allerdings nur in einem gesonderten Teil, der ausdrücklich nicht zur Gesamtbewertung der Ausschlussmitglieder zählt.
Die Abgeordneten verschweigen den Kern des Problems
Dass allen Beteiligten der institutionelle Rassismus aber durchaus bewusst ist, zeigt eine Reihe der 47 Maßnahmen, die die Abgeordneten erarbeitet haben, um die Arbeit von Polizei und Verfassungsschutz zu verbessern. So heißt es im Abschlussbericht: "Deutschlands Gesellschaft ist vielfältig, diese Vielfalt müssen die Polizeibehörden widerspiegeln." Kurzum: Die Abgeordneten kritisieren, dass der Anteil von Polizisten mit Zuwanderungshintergrund unverhältnismäßig niedrig ist.
Eine weitere Maßnahme: "Interkulturelle Kompetenz muss ein fester und verpflichtender Bestandteil der Polizeiausbildung sein." Selbstredend, dass die Abgeordneten hier ein grundsätzliches Defizit sehen.
"Gewisse Stereotype"
Weder im Bericht noch bei dessen Präsentation wagten es die Abgeordneten, das dahinterliegende Problem dann aber auch eindeutig zu benennen. Äußerst kleinlaut im Vergleich zu seinen anderen Attacken sagte Edathy: Aus dem Arbeitsalltag der Polizisten entwickelten sich "gewisse Stereotype". Dann versicherte er aber ein weiteres Mal: "Strukturellen Rassismus" wolle er das nicht nennen.
Dass die Abgeordneten ausgerechnet bei diesem entscheidenden Punkt vor einer klaren Einordnung zurückschrecken, mag viele Gründe haben. Der Protest der Polizeigewerkschaft wäre garantiert, die Empörung und Sorge bei vielen Migranten programmiert. Doch das hätten Edathy und seine Ausschusskollegen in Kauf nehmen müssen. Ihr Herumschwadronieren um den Kern des Problems jedenfalls konterkariert all ihre aufrichtigen Bemühungen, wieder Vertrauen in den deutschen Rechtsstaat zu wecken.
Quelle: ntv.de