Das verquere Selbstverständnis von Schwarz-Gelb Gipfel des kleinstmöglichen Anspruchs
05.11.2012, 14:57 Uhr
Kanzlerin Merkel, mit FPD-Chef Rösler (l.) und CSU-Chef Seehofer.
(Foto: picture alliance / dpa)
Der Koalitionsausschuss von Union und FDP soll ein Signal aussenden: "Handlungsfähigkeit". Ein geradezu peinliches Signal - denn einen geringeren Anspruch kann sich eine Bundesregierung kaum setzen. Doch das wirklich Tragische daran ist: Manch ein Regierungsmitglied scheint tatsächlich zu glauben, so bei den Wählern zu punkten.
Ein paar Worte von Horst Seehofer kurz vor Beginn des Koalitionsausschusses reichten, um einen Einblick in das verquere Selbstverständnis der schwarz-gelben Bundesregierung zu erhaschen. Die Koalition müsse "Handlungsfähigkeit" unter Beweis stellen, sagte der CSU-Chef - um sich damit für eine weitere Legislaturperiode nach der Bundestagswahl 2013 zu empfehlen. Seehofer verlor kein Wort über "sinnvolles" Handeln, "nachhaltiges" oder gar "visionäres" Handeln. Er sprach allein vom Handeln an sich, vom Funktionieren.
Nach drei Jahren in Regierungsverantwortung stellt Schwarz-Gelb an die eigene Politik nur noch den kleinstmöglichen Anspruch. Und in jenem verschrobenen Selbstverständnis glaubt manch einer in der Bundesregierung tatsächlich noch daran, damit bei den Wählern punkten zu können. Das belegen nicht nur Seehofers Worte, das zeigen auch die Ergebnisse des Koalitionsausschusses.
Zu große Themen für eine Regierung ohne Vision
CDU, CSU und FDP haben in ihrer Regierungszeit große Themen angepackt: die Rente und die Altersarmut, die Kinderbetreuung und das Gesundheitswesen. Monate lang stritten sie darüber. Doch sie stritten nicht im Großen, sondern im ganz Kleinen. Von vornherein fehlte der Koalition eine Vision. Denn obwohl sie sich bedeutsamen Themen widmete, ging es in den Koalitions-Zankereien nie darum, Claims im Kampf um einen Paradigmenwechsel abzustecken. Die Tragweite der Reformen, die Schwarz-Gelb anstieß, waren von der einer Agenda 2010 weit entfernt. Und jetzt, kurz vor der nächsten Bundestagswahl, versuchen CDU, CSU und FDP das zu kaschieren und verkaufen "Handlungsfähigkeit" als Beleg für gute Regierungsarbeit.
Wie weit dieser Zynismus geht, zeigt Arbeitsministerin Ursula von der Leyen. Am Tag nach dem Koalitionsausschuss warb sie für den Kompromiss einer "Lebensleistungsrente". Die greift bei Menschen, die 40 Jahre lang Rentenbeiträge eingezahlt und - trotz Niedriglöhnen! - privat vorgesorgt haben. Als Anerkennung für diese "Lebensleistung" bekommen sie 10 Euro mehr als jemand, der Zeit seines Lebens auf Arbeit verzichtet und Hartz-IV-Leistungen empfangen hat. Von der Leyen sagt dazu: "Die Sieger dieses Gipfels, das sind die Geringverdiener".
Mindestens genauso fragwürdig fällt die Bilanz beim Betreuungsgeld aus. Von vornherein war dabei klar, dass es allein darum ging, das völlig veralterte Familienbild der CSU zu fördern und Eltern, die ihre Kinder zu Hause erziehen, einen Bonus in Höhe von 150 zu zahlen. Dass ein Großteil der Bevölkerung ihre Kinder nach dem Bezug des Elterngeldes gern in einer Kita betreuen lassen will, um wieder langsam in den Beruf einzusteigen und dem Kind früh den sozialen Kontakt mit Gleichaltrigen zu ermöglichen, ignoriert das Vorhaben. Die 150 Euro fürs Betreuungsgeld wären besser in den viel zu langsam voranschreitenden Ausbau von Kita-Plätzen investiert worden.
Schwarz-Gelb schüttet Gräben mit Milliarden zu
Wie konnte es dazu kommen, dass sich die "Wunschkoalitionspartner" derart verzetteln? Union und FDP sind schlicht nicht mehr dieselben wie etwa zu Helmut Kohls Zeiten. Während sich die Unionsparteien seit der letzten Großen Koalition immer weiter in die Mitte bewegten, Themen der Grünen und der SPD aufgriffen, entfernt sich die FDP zusehends von einem Liberalismus, der auch soziale Gerechtigkeit kennt. Die Gräben zwischen den Parteien waren schon bei Regierungsantritt gewaltig. Und so war es für die Parteien von vornherein unmöglich, zusammen ein Ziel zu formulieren, das über Detailkorrekturen am Bestehenden hinausging.
Der jüngste Koalitionsausschuss erscheint vor diesem Hintergrund wie ein letztes verzweifeltes Aufbäumen. Nach drei Jahren fällt CDU, CSU und FDP nichts Besseres ein, als diese tiefen Gräben mit Milliarden von Euro zuzuschütten, um zumindest den kläglichen Anschein gemeinsamen Handelns zu erwecken. Liberalen-Chef Rainer Brüderle sagte passenderweise dazu: Alle Koalitionspartner müssten von den Ergebnissen der Runde im Kanzleramt profitieren: "Jeder muss bei so einer Einigung ein Stück haben, was er nach Hause tragen kann." Also: Ein bisschen Betreuungsgeld für die CSU, ein Bruchstück Rente für die CDU und das Aus für die Praxisgebühr für die FDP. Das zeigt: Die Koalition kann handeln. Fraglich ist nur, für wen.
Bei diesem politischen Selbstverständnis verwundert es kaum, dass Schwarz-Gelb nach vier Jahren wohl nur eine historisch bedeutsame Entscheidung verbuchen kann: den Atomausstieg. Und den hatten SPD und Grüne bekanntlich schon vor Jahren beschlossen.
Quelle: ntv.de