Zwischenruf Halbparlamentarische Demokratie
03.06.2009, 17:04 UhrEuropa bleibt für den Wähler von Nikosia bis Dublin abstrakt, solange es seine Demokratie selbst beschneidet, meint Manfed Bleskin.
Am Donnerstag beginnen die Wahlen zum Europäischen Parlament. Den Anfang machen die Niederländer und die Briten. Am Sonntag dann sind auch die Deutschen an der Reihe. Zu Recht wird kritisiert, dass der Europawähler zwar ein Parlament wählt, dieses aber keine Regierung. Das ist der Hauptmangel der Demokratie im Europa der 27.
Zwar hat es das Parlament im Verlaufe der Jahre geschafft, über gut 60 Prozent der Gesetzgebung entscheiden zu dürfen, aber über den – inhaltlich gewichtigeren - Rest wacht die Europäische Kommission. Als eine Art außerparlamentarisches Demokratieorgan. Denn die Kommissare sind zwar von demokratisch bestimmten Regierungen ernannt, aber nicht demokratisch gewählt. Gleichwohl können die Deputierten die Kommission – mit einer Zweidrittelmehrheit – zum Rücktritt zwingen. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, bleibt aber demokratisch defizitär. Das zweite Paradoxon ist, dass die Fraktionen des Europaparlaments keine eigenen Gesetzesinitiativen einbringen dürfen. Das soll laut Lissabonner Vertrag auch so bleiben.
Europa bleibt für den Wähler von Nikosia bis Dublin abstrakt, solange es seine Demokratie selbst beschneidet. Zugleich greift die EU aber tief in die nationalen Souveränitäten ein und erscheint zu vielen als eine Bedrohung der eigenen Identität. Gerade in Krisenzeiten driftet die Union auseinander. Jeder kocht sein eigenes Süppchen. Was davon übrigbleibt, wird dann wenig brüderlich verteilt. Eine europäische Wirtschaftsregierung, zumindest aber eine auf die Dauer der Krise befristete Task Force mit Exekutivrechten, wäre die richtige Antwort. Diese sollte von den Abgeordneten gewählt werden. Das wäre Motivation genug, mehr Wähler an die Urnen zu locken.
Auch könnten die künftigen 751 Abgeordneten sehr leicht selbst motivierende Signale aussenden: Die hohen Diäten und Spesenkonten gehören abgeschafft, das lächerliche Hin-und Her-Geziehe von Straßburg nach Brüssel und retour beendet.
Kurzum: Die Demokratie in der Europäischen Union ist nicht vollkommen. Sie kann aber nur vollkommener werden, wenn die 375 Millionen Wähler von ihr Gebrauch machen. Ab morgen, 7.00 Uhr in Britannien bis Sonntag, 22.00 Uhr in Polen. Und dazwischen in den übrigen 25 Staaten.
Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.
Quelle: ntv.de