Zwischenruf Irak: Krieg ist nicht zu Ende
25.01.2012, 18:25 Uhr
Schiiten beim Freitagsgebet in Bagdad. Die Gräben scheinen wieder unüberwindbar.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Die Invasion der sogenannten Koalition der Willigen hat die Lage im Irak und in der Region dramatisch verschlechtert. Nach dem Abzug der US-Kampftruppen ist der Machtkampf zwischen Schiiten und Sunniten voll entbrannt. Ein Funke genügt und die Auseinandersetzungen schlagen in offene militärische Konfrontation um.
Es ging rascher als gedacht: Kaum hatten die letzten US- Kampfeinheiten den Irak verlassen, da holte Premier Nuri al-Maliki zu Schlag aus. Mit dem Haftbefehl gegen den sunnitischen Vizepräsidenten, Tariq al-Hashimi, beendete der Schiit den nach den Wahlen von 2010 über Monate mühsam ausgehandelten Kompromiss zwischen den Parteien der beiden größten islamischen Konfessionen. Al-Hashimi floh in den kurdischen Norden des Landes, der de facto einen eigenen Staat bildet. Der befürchtete Zerfall des Irak ist also schon Realität.
Der Vorwurf, al-Hashimi habe eine eigene Todesschwadron unterhalten, ist ebenso richtig … wie absurd. Beide Seiten stützen sich auf bewaffnete Milizen oder dulden sie zumindest. Bislang halten sich die vom Iran unterstützten bewaffneten Formationen zurück. Wenn der Terror der sunnitischen Gruppen mit Dutzenden von Toten in schiitischen Vierteln so weitergeht wie in den vergangenen Tagen, ist es eine Frage der Zeit, dass sich die Mahdi-Milizen von Hassprediger Muktada al-Sadr und den aus ihnen hervorgegangenen noch radikaleren Splittergruppen zu blutigem Wort melden.
Der Iran lässt die schiitischen Milizen noch nicht von der Kette, um im Spannungsfeld von EU-Ölembargo und Israels Angriffsdrohungen nicht einen weiteren Konflikt eskalieren zu lassen. Hinzu kommen die Sorgen um den Sturz des alewitisch-schiitisch dominierten Regimes von Baschar Al-Assad in Syrien.
Dort wie im Irak prallen iranische und türkische Expansionsgelüste aufeinander. Ankara hält es in beiden Ländern mit den Sunniten. Die Türkei wie der Iran treiben gleichwohl weniger religiöse, denn vielmehr handfeste wirtschaftliche und ressourcenpolitische Bewegründe an. Dabei geht es vorrangig um Erdöl und Absatzmärkte.
Die bewaffnete Einmischung der USA in die Belange der Region hat das Gegenteil von dem erreicht, was beabsichtigt war: Die Kontrolle über das irakische Öl liegt heute in den Händen von Schiiten, die mit dem Iran verbunden sind. Teheran ist nicht zuletzt deshalb zum regionalen Player geworden. Ein mit dem Lineal errichteter Staat droht zu zerfallen. Und es ist nachgerade paradox, dass der christliche Kreuzfahrer George W. Bush dafür verantwortlich ist, dass die große christliche Gemeinschaft zwischen Euphrat und Tigris zur verfolgten Minderheit geworden ist.
Eine direkte militärische Konfrontation zwischen Israel und den USA auf der einen und dem Iran auf der anderen Seite ist ebenso wenig wahrscheinlich wie eine Rückkehr der USA als "Ordnungsmacht" in den Irak: Aber der Krieg im Zweistromland ist nicht zu Ende. Im Gegenteil: Er droht noch blutiger zu werden als bislang.

Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 das politische Geschehen für n-tv. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist er Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.
Quelle: ntv.de