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Zwischenruf Kraftprobe zwischen Links und Rechts

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(Foto: dpa)

Trotz der Nichtanerkennung der Wahlergebnisse durch die Opposition wird der Sozialist Maduro die nächsten sechs Jahre Venezuela regieren. Die Gesellschaft ist gespalten wie nie zuvor seit Beginn der Ära Chávez 1999. In Venezuela entscheidet sich, welchen Weg Lateinamerika künftig nehmen wird. Zurück in die Vergangenheit oder vorwärts in die Zukunft.

Der Sieg des sozialistischen Kandidaten bei den Präsidentenwahlen Nicolás Maduro Moros war absehbar. Dass er so knapp ausfallen würde, nicht. Das lässt berechtigte Zweifel aufkommen an der Seriosität der Umfragen, die quer durchs politische Spektrum den jetzigen Vizestaatschef fast ausnahmslos mit bis zu zehn Prozent vor seinem bürgerlichen Herausforderer Henrique Capriles Radonski gesehen hatten.

Nicolás Maduro grüft seine Anhänger.

Nicolás Maduro grüft seine Anhänger.

(Foto: AP)

Offensichtlich hatten sich die Meinungsforscher von der millionenfachen Präsenz der Anhänger des verstorbenen Präsident Hugo Chávez Frías auf den Straßen blenden lassen. Trotz der unbestreitbaren sozialen Leistungen ist es ihnen gelungen, nicht nur die schon früher begünstigten Mittelschichten samt der Oberschicht, sondern auch einen Teil der Ärmsten für sich zu gewinnen.

Zu offensichtlich ist, dass die beiden Geißel des bolivarischen Umgestaltungsprozesses - die Gewaltkriminalität und die Korruption - die Erfolge im Bildungs- und Gesundheitswesen in beachtlichen Teilen der Gesellschaft überlagern. Hier liegt wohl auch die Antwort auf die Frage, die Maduro sich selbst stellt: Warum votieren so viele der Ausgebeuteten immer wieder für ihre Ausbeuter?

Die Spaltung der venezolanischen Gesellschaft hat sich vertieft. Die Opposition fühlt sich stärker denn je seit Beginn der Ära Chávez 1999. Davon zeugt auch die Nichtanerkennung des Wahlergebnisses. Der Vorwurf an die Adresse Maduros, seine Anhänger hätten Unterstützer Capriles' an der Stimmabgabe gehindert, mag berechtigt sein. Ebenso berechtigt sind aber wohl auch die Proteste gegen die Störung des Urnengangs durch Oppositionelle, die in mindestens zwei Fällen das Feuer auf linke Aktivisten eröffnet hätten.

Maduro ist einen Schritt auf Capriles zugegangen, als er der Neuauszählung der Wahlzettel zustimmte. Dies bedeutet aber nicht, dass die Linke einräumt, die Wahlen wären gefälscht.

Maduro sitzt fest im Sattel

Maduro wird gewiss die nächsten sechs Jahre regieren. Dabei steht ihm eine gestärkte Opposition gegenüber, die in dieser Zeit wenig mehr tun kann als den "oficialismo" zu kritisieren. Es sei denn, das Lager von Capriles greift zu militärischen und anderen verfassungswidrigen Mitteln, um das Steuer zu ihren Gunsten herumzureißen. Nicht zuletzt der Putschversuch von 2002 in Venezuela, aber auch der Polizistenaufstand in Ecuador 2010, die illegale Absetzung des linkskatholischen Staatschefs von Paraguay, Fernando Lugo, im vergangenen Jahr und der kalte Coup gegen den Präsidenten von Honduras Manuel Zelaya 2009 zeigen, dass diese Gefahr nicht gebannt ist.

Die Armeeführung und die Streitkräfte stehen zum Wahlsieger, erklärte der Chef des Wilmer Barrientos. Allerdings war er dabei so aufgeregt, dass er statt des im Wesentlichen ruhigen Ablaufs des "proceso electoral", des Wahlprozesses, den "proceso eléctrico", den elektrischen Prozess, würdigte.

Für die Linke aus Sozialisten, Kommunisten und einigen kleineren Gruppierungen wird es darauf ankommen, ihre Einheit auch ohne die schillernd-charismatische Figur von Chávez zu wahren. Jetzt in berühmt-berüchtigter linker Tradition Erbsen zu zählen, kann tödlich sein. Neben der Bekämpfung von Korruption und Gewaltkriminalität kommt es darauf an, die einseitige Konzentration auf die Erdölförderung zu überwinden, die Wirtschaft zu diversifizieren und die Sozialprogramme weiter konsequent umzusetzen.

Für den Aufbruch eines Großteils der Staaten Lateinamerikas ist die Zukunft Venezuelas als eine der wesentlichen Säulen dieser Entwicklung entscheidend. Scheitert Maduro, droht auch Bolivien, Nicaragua und Ecuador – um nur einige zu nennen - ein ähnliches Schicksal. Das weiß die lateinamerikanische Oligarchie, das weiß das Weiße Haus in Washington. In den nächsten Jahren entscheidet sich nicht nur das Schicksal des Landes am Orinoco, sondern Lateinamerikas.

Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 das politische Geschehen für n-tv. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Manfred Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstad tstudio in Berlin.

Quelle: ntv.de

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