Hollande übernimmt in Frankreich Linksrutsch mit Fragezeichen
06.05.2012, 21:36 Uhr
Überreste einer knappen Wahlentscheidung.
(Foto: REUTERS)
Der Sieg von François Hollande bei den Präsidentenwahlen in Frankreich läutet eine dreifache Wende ein: Frankreich wird im Inneren wie in Europa als auch auf der internationalen Ebene einen neuen Kurs einschlagen. Doch endgültigen Aufschluss über die neue Richtung des Elysée-Palasts werden erst die Parlamentswahlen im Juni geben.
Der Wahlsieg des Sozialisten François Hollande läutet eine dreifache Wende ein: Frankreich bewegt sich damit weg von Streichorgien im Sozialbereich hin zu sozialer Abfederung des Krisenmanagements und Arbeitsbeschaffungsprogrammen. In der Europäischen Union weg von ultrarestriktiven Sparorgien und demonstrativem Schulterschluss mit dem offiziellen Berlin hin zu wachstumsorientierter Politik und einem abstandwahrenden Verhältnis zu Deutschland.
Auf internationaler Ebene wird sich Hollande bei Kriegseinsätzen "out of area" künftig zurückhalten, das nachgerade devote Verhältnis zu den USA dürfte einer selbstbewussten Betonung der eigenen Ansprüche weichen.
Damit muss sich auch Berlin auf einen neuen Wind einstellen. Und das mit Ansage. Man muss sich fragen, wofür die außenpolitischen Berater von Kanzlerin Angela Merkel ihr Geld bekommen. Dümmere Ratschläge als die eines ausdrücklichen Bekenntnisses zu "Merkozy" konnte man sich angesichts des absehbaren Wahlsiegs von Hollande kaum vorstellen. Ein "Merkollande", wie ein Kollege schrieb, wird es nun nicht geben.
Mit etwa vier Prozentpunkten Unterschied ist der Abstand zwischen Sieger und Besiegtem größer als es noch die letzten Umfragen vor dem Urnengang besagt hatten. Hollande hat deutlich von den Stimmen der Linksfront aus Kommunisten, Linkspartei und neotrotzkistischer Gauche Unitaire profitiert.
Wahlen im Juni bringen Klarheit
Linksfrontkandidat Jean-Luc Mélenchon hatte mit der Bemerkung, die Ära Sarkozy müsse beendet werden, indirekt zum Votum für Hollande aufgerufen. Marine Le Pen vom rechtsextremen Front national hingegen hatte es ihren Anhängern freigestellt, für wen sie stimmen. Gleichwohl gelang es Nicolas Sarkozy mit seiner ausländerfeindlichen Propaganda namentlich nach dem ersten Wahlgang einen Teil der rechtsextremen Wählerschaft für sich zu gewinnen.
Nun wird der in der Sozialistischen Partei eher der Mitte zugerechnete Hollande das Kind nicht mit dem Bade ausschütten können - und wollen. Klarer wird man erst nach den Wahlen zur Nationalversammlung am 10. und 17. Juni sehen. Der Einzug in den Palais de l'Élysée wird der Sozialistischen Partei einen beachtlichen Impuls verleihen. Ohne Absprachen mit der Linksfront wird es aber wohl nicht zu einem Sieg reichen. Offen ist, ob der bisherigen Präsidentenpartei Union pour la majorité présidentielle ein Ergebnis gelingt, das an das von Sarkozy im zweiten Wahlgang heranreicht. Das könnte die Stunde der Marine Le Pen werden, die mit ihrem damenkostümgewandeten Rechtsradikalismus danach strebt, Hollande in fünf Jahren zu beerben.
Anfang der siebziger Jahre hatte das Frankreich der Fünften Republik unter François Mitterand schon einmal einen Linksrutsch erlebt. Der endete in einem Desaster. Nicht zuletzt, weil das Kapital massenweise ins Ausland floh. Das wird Hollande im Hinterkopf haben. Die Wahlbeteiligung, die höher als beim ersten Wahlgang war, zeigt jedenfalls: Bei unseren Nachbarn gibt es keine Politikmüdigkeit. Die Mehrheit der Franzosen war der Politik eines Nicolas Sarkozy müde.
Quelle: ntv.de