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Zwischenruf Mehdorns Sündenregister

In seinem Steh- oder besser Aussitzvermögen steht Hartmut Mehdorn ehemaligen Bundeskanzlern nicht nach. Der auf Betreiben von Gerhard Schröder eingesetzte Bahnchef kann wie nur wenig andere deutsche Konzernvorsteher auf ein beachtliches Curriculum von Patzern und Fehlentscheidungen verweisen. Das aber ficht ihn nicht an. Vielleicht wackelt er ein bisschen, kommt dann aber wider rasch in die Senkrechte.

Misthaufen, der zum Himmel stinkt

Meist sind die Dinge aus seiner Sicht eigentlich gar nicht so schlimm oder aber, er hat von ihnen nichts gewusst. Man muss es sich auf der Zunge zergehen lassen, wenn ein Manager seines Kalibers erklärt, er hätte von der Bespitzelung von weit mehr als 170.000 Mitarbeitern seines Unternehmens keine Kenntnis gehabt. Das ist immerhin mehr als die Hälfte der insgesamt rund 237.000 Bahnerinnen und Bahner. Hat er doch etwas gewusst und schiebt nun anderen den Schwarzen Peter zu oder tanzen die Mäuse auf dem Tisch, selbst wenn die Katze zuhause ist? Beides wäre fast gleich schlimm. Schlimm auch, dass die Bahn die Durchleuchtung von tausend leitenden Mitarbeitern zunächst dementiert hat. Salamitaktik, sagen die Gewerkschaften. Eher ein Misthaufen, der zum Himmel stinkt. Und dass Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee - wie bei den Bonuszahlungen für das Bahnmanagement wieder einmal keinen blassen Schimmer hat, ist schon fast ein Axiom.

Nun versucht Mehdorn die geheime Überprüfung als Routine und durchaus üblich zu bemänteln. Nur an der Kommunikation habe es etwas gehapert, man hätte den Betroffenen vorher Bescheid geben soll. Dieser Unsinn wiederum beisst sich mit der Behauptung, eigentlich wäre es um die Aufdeckung möglicher Korruptionsfälle gegangen. Etwa: Wir verdächtigen Sie der Bestechlichkeit und prüfen das eben mal. Was bei Europas größtem Bahnkonzern abgelaufen ist, erinnert an eine Rasterfahndung zur Auffindung von Terroristen.

Ausspionieren als Kavaliersdelikt

Hier liegt das Hase im Pfeffer: Lidl, Deutsche Telekom, Aldi, Penny, Norma, Rewe, Familia, Hagebau, alle checken ihre Mitarbeiter durch, ganz so, als wäre es das Natürlichste der Welt. Nach 9/11 haben die Regierenden nicht hier hierzulande - ein gesellschaftliches Klima geschaffen, in dem das Ausspionieren von Menschen ohne konkrete Verdachtsmomente zum Kavaliersdelikt zu verkommen droht. Was dem Staat Recht ist, kann staatstragenden Konzernen nur billig sein.

Mehdorns Sündenregister ist beachtlich. Neben dem so genannten Bedienzuschlag gibts da noch den Eklat mit der Konstruktion des Berliner Hauptbahnhofs, die Schließung zahlreicher Regional- und Lokalbahnhöfe, Entlassungen, der misslungene Börsengang, die defekten ICE-Achsen, ständige Fahrpreiserhöhungen, ein verquastes Tarifsystem. Aber es hat auch positive Nachrichten. Die Bahn kauft bei unseren polnischen Nachbarn ein privates Güterbahnunternehmen. Der Preis liegt im dreistelligen Millionenbereich. Was tuts, wenn dafür wieder die Fahrpreise ein weiteres Mal gestiegen sind? Es ist offensichtlich wichtiger, Profit zu machen denn als sozial verträglicher Dienstleister dafür zu sorgen, dass Arbeitnehmer pünktlich von A nach B kommen.

Hartmut Mehdorn wird auch über diese Affäre nicht stolpern. Er scheint alternativlos. Zumindest bis zu den Bundestagswahlen. Und 2010 läuft der Vertrag des 68-jährigen ohnehin aus.

Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.

Quelle: ntv.de

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