Zwischenruf Mehr als nur Schnupfen
12.12.2008, 18:27 UhrWenn General Motors Schnupfen hat, bekommt die Wirtschaft der Vereinigten Staaten eine Grippe, lautet ein geflügeltes Wort. Nun hat der weltgrößte Automobilkonzern wie auch Konkurrent Chrysler nicht nur eine Rhinitis. Die Giganten sind mit einer Art Ebolavirus infiziert.
Dies ist nicht allein auf die geplatzte Kreditblase und das daraus erwachsene Sinken der Nachfrage zurückzuführen. Beide Giganten haben über Jahrzehnte eine falsche Modellpolitik betrieben. Microsoft-Mastermind Bill Gates meint, "wenn GM mit der Technologie so mitgehalten hätte wie die Computerindustrie, dann würden wir heute alle 25-Dollar-Autos fahren, die 1000 Meilen pro Gallone Sprit fahren würden".
Die US-Automobilindustrie allein verantwortlich dafür zu machen, dass sie auf Spritfresser setzte, statt – bei durchaus weiter möglichem Profit – Ressourcen sparende Fahrzeuge herzustellen, wäre nur die halbe Wahrheit. Die auf militärische Ausdehnung ihrer geostrategischen Positionen orientierte US-Außenpolitik lud die Konzerne nachgerade zur Verschwendungssucht ein. Schlussendlich bedingten sich beide Faktoren gegenseitig. Gleiches gilt für die Finanzwirtschaft, deren faule Geschäfte ohne die neoliberalen Rahmenbedingungen der Bush-Administration nicht möglich gewesen wären.
Die Entscheidung des Senats ist ein weiteres schändliches Kapitel in der Geschichte der Neocons, die die Ablehnung des 14-Milliarden-Dollars-Hilfspakets mit der starren Haltung der Gewerkschaften begründeten. Diese waren nicht zu substantiellen Lohneinbußen bereit, die die republikanische Minderheit in der zweiten US-Kammer mit Hilfe von formal legitimen parlamentarischen Tricks zur Bedingung für ihre Zustimmung gemacht hatte.
Nun ist fraglich, ob die 14 Milliarden ausgereicht hätten, den Konzernen wieder Boden unter den Füßen zu verschaffen. Das Geld hätte aber zur Wiederbelebung von Vertrauen beigetragen, das in dieser schlimmen Zeit eine der wichtigen Voraussetzungen zur Überwindung der Krise geworden ist.
Die Schulden von GM liegen bei 45 Milliarden Dollar, die Verpflichtungen von Chrysler, der Nummer drei der Big Three, sind nicht bekannt. Chrysler ist keine Aktiengesellschaft und darum zur Veröffentlichung der Zahlen nicht verpflichtet. Auch Ford als Zweiter steht mit 26 Milliarden in der Kreide.
Die US-Wirtschaft kann es sich nicht leisten, auch nur eines dieser Unternehmen Pleite gehen zu lassen. Wegen der Existenz von Millionen Menschen weltweit. Allein GM beschäftigt knapp 300.000 Mitarbeiter in 35 Ländern. Und wegen der Bedeutung, die der Industriezweig als Rückgrat der US-Wirtschaft darstellt. Deshalb sollten die Unkenrufe über noch vor Weihnachten bevorstehende Pleiten nicht gar zu ernst genommen werden. Unter dem Druck der Öffentlichkeit hat sich nun sogar ein Präsident George W. Bush bereit erklärt, die von der Branche benötigten Mittel aus dem 700 Milliarden Dollar schweren Rettungspaket für die Finanzbranche zur Verfügung zu stellen. Auch die deutsche Bundesregierung sollte sich rasch zu Opel als GM-Tochter positionieren. Schweden hat bereits Hilfen für Saab (General Motors) angekündigt. Volvo, das Ford gehört, erhält ebenfalls Geld aus der Stockholmer Staatsäckel.
Eine Dauerlösung ist das alles nicht. Bushs Nachfolger Barack Obama muss die Weichen für eine soziale, ökologische und gewinnbringende Neustrukturierung stellen, und zwar noch vor seiner Amtsübernahme in 39 Tagen. Erst dann werden ihm seine Wähler aus der Motorcity Detroit glauben, was er nach seinem Wahlsieg verkündet hat: "Change has come to America!"
Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.
Quelle: ntv.de