EU-Verfassung "Mission Impossible" für Angela Merkel
09.02.2007, 12:57 UhrAnalyse von Peter Heusch , Paris
Das Ereignis wurde in Frankreich einfach ignoriert. Am 26. Januar versammelten sich in Madrid die Repräsentanten von 18 EU-Staaten, um mit der neuen EU-Ratspräsidentin Angela Merkel über die Rettung des EU-Verfassungsvertrages zu beraten. Es war das Treffen der Willigen! Franzosen und Niederländer hingegen, die die Verfassung per Referendum abgelehnt haben, waren ebenso wenig eingeladen worden wie jene, die dem Beispiel der Briten und Tschechen folgend die Ratifizierung vertagt haben.
„Die meisten Franzosen haben nach wie vor nicht begriffen, dass ihr Nein zur EU-Verfassung ein böses Eigentor mit langfristig schlimmen Folgen ist“, schimpfte dieser Tage ein Pariser Diplomat. Der hohe Funktionär, der einen Teil seiner Karriere den EU-Institutionen widmete, leidet „wie ein Hund“. Er kann nicht verwinden, dass sein Land, welches bis zum 29.Mai 2005 eine Speerspitze des europäischen Einigungsprozesses war, nun auf der Sünderbank sitzt. „Unser Gewichts- und Gesichtsverlust in Brüssel ist dramatisch. Wenn wir heute noch etwas vorbringen oder erreichen wollen, müssen wir die deutschen Freunde bitten, sich dieses Themas anzunehmen. Ansonsten würde jeder französische Vorstoß bestenfalls mit einem mitleidigen Lächeln quittiert.“
Mein Gegenüber peinigt freilich nicht nur der Ärger über den Pariser Einflussverlust, sondern ein regelrechtes Schuldgefühl. „Die EU-Verfassung ist tot, und das ist in erster Linie unser Fehler. Auch Ihre Kanzlerin kann ihn nicht mehr wiederbeleben.“ Wobei er sofort hinzufügt, dass er große Stücke auf Merkel und ihr Verhandlungsgeschick hält. Gilt die Deutsche doch als Retterin des EU-Haushalts und hat sich seit ihrem Amtsantritt in Berlin auf europäischem Parkett dank eines ebenso zielgerichteten wie verbindlichen Auftretens viele Freunde gemacht.
Trotzdem hat Merkel keine wirkliche Chance, den Kardinalfehler des französischen Präsidenten auszubügeln. Jacques Chirac nämlich heißt der Totengräber des Verfassungsvertrages. Dessen ohne Not und in völliger Verkennung der Stimmung seiner Landsleute gefällte Entscheidung, die EU-Verfassung per Referendum und nicht auf dem sicheren parlamentarischen Wege ratifizieren zu lassen, war mehr als nur ein Schuss, der nach hinten losging. Er schaffte Fakten, die zumindest in Frankreich unumkehrbar sind. Und somit auch für Europa.
Der französische Souverän hat entschieden. Weder Chirac noch sein demnächst zu wählender Nachfolger können es sich leisten, dies zu ignorieren. Auch Merkels Plan, eine abgespeckte Form der Verfassung ohne Referenden in den Mitgliedsstaaten und am Europaparlament vorbei einfach durch eine Vereinbarung unter den Regierungen in Kraft zu setzten, wäre daher allein mit jenen Ländern machbar, die dem Text ohnehin schon zugestimmt haben. Aber eben nicht mit Frankreich.
Mit einem der beiden Favoriten der französischen Präsidentschaftswahlen, dem bürgerlichen Kandidaten Nicolas Sarkozy, unterhält die Kanzlerin ausgezeichnete Beziehungen. Tatsächlich plädiert auch Sarkozy für einen „vereinfachten“ Verfassungsvertrag, der allein die „konsensfähigen“ Teilbereiche umfasst. Allerdings schweigt er sich eisern über das ihm vorschwebende Annahmeverfahren aus. Daraus zu schließen, es könnte auch in seinen Augen an den französischen Bürgern oder Volksvertretern vorbeilaufen, wäre allerdings gewagt. Vor allem jedoch dürften Sarkozys konsensfähige Teilbereiche nicht mit der abgespeckten, aber im Kern dem ursprünglichen Entwurf treuen Version Merkels in Übereinstimmung zu bringen sein.
Eine ganz andere Linie verfolgt mit der Sozialistin Sgolne Royal die einzige Person, die Sarkozy den Einzug in den Elyse-Palast streitig machen kann. Sie werde als Staatsaberhaupt jede neue Vereinbarung dem Volk zur Abstimmung vorlegen, versprach Royal. Außerdem fordert sie als Verfassungsanhang eine Charta, die ganz Europa auf die Ziele eines Sozialstaats französischer (und deutscher) Prägung verpflichtet. Schon möglich, dass den Franzosen mit diesem Zuckerbrot eine Zustimmung abgerungen werden könnte. Aber Großbritannien, Irland und die meisten osteuropäischen Staaten würden da niemals mitspielen.
Doch es ist nicht nur die französische Sachlage, sondern auch der französische Kalender, der Merkels selbstauferlegte Mission zum Scheitern verurteilt. Den Präsidentschaftswahlen nämlich folgen Parlamenteswahlen auf dem Fuße, erst im Juli wird es in Paris wieder eine neue und handlungsfähige Regierung geben. Drei Wochen später endet die EU-Ratspräsidentschaft der Kanzlerin. In dieser kurzen Zeitspanne müsste also eine Einigung mit den Franzosen erzielt werden, deren Umrisse sich nicht einmal im Ansatz abzeichnen.
Ohnehin lautet die bittere Wahrheit anders: Chirac hat das Kind EU-Verfassung in einen so tiefen Brunnen fallen lassen, dass es keine Leiter gibt, die lang genug wäre, um es dort wieder herauszuholen. Daran dürfte auch Merkel mit ihrem lobenswerten Engagement nichts ändern können. Der Weg für einen großen Wurf zur Reform der EU ist verbaut, es wird künftig wohl nur in äußerst mühsamen und kleinen Schritten voran gehen. Leider hat die Kanzlerin Hoffnungen geweckt, die sie zwangsläufig enttäuschen muss.
Quelle: ntv.de