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Zwischenruf Neue Phase in Lateinamerika

In Lateinamerika droht Krieg. Wieder einmal. Zuletzt standen sich Peru und Ekuador gegenüber; es ging um Grenzstreitigkeiten, die 1995 mit einem Friedenvertrag – hoffentlich – endgültig beigelegt wurden. Diesmal geht es um mehr. Mit Ekuador und dessen Alliierten Venezuela stehen zwei sozialistisch orientierte Länder Kolumbien, dem engsten Verbündeten der USA auf dem Subkontinent, gegenüber.

Die kolumbianischen Streitkräfte haben völkerrechtswidrig die Grenze zu Ekuador überschritten, dort ein Lager der kolumbianischen Guerillaarmee FARC überfallen und mit Ral Reyes die Nummer zwei der Organisation und weitere 16 Kämpfer getötet. Nun ist es auch nicht gerade völkerrechtsgemäß, wenn Ekuador auf seinem Territorium einer Gruppierung Zuflucht gewährt, die die Regierung eines anderen Staates bekämpft.

Der ekuadorianische Präsident Rafael Correa sagt, Reyes habe sich zur Vorbereitung einer Geiselübergabe in seinem Land aufgehalten. Dabei sollte auch die seit Jahren von der FARC festgehaltenen kolumbianische Politikerin Ingrid Betancourt freigelassen werden, die einst Präsidentschaftskandidatin war. Der Plan sei durch den Überfall verhindert worden.

Die kolumbianische Seite in Gestalt von Polizeichef Oscar Naranjos argumentiert, Ekuador und Venezuela unterstützten die FARC in ihrem Kamp gegen die Regierung von Präsident Alvaro Uribe. Auf Reyes’ Computer habe man eine Anweisung über 300 Millionen Dollar aus Caracas an die Guerilla gefunden. Venezuela kontert und erklärt, Naranjos sei mit der kolumbianischen Drogenmafia und den rechtsgerichteten Paramilitärs in seinem Lande verbunden. Beides ist – verständlicherweise – schwer nachprüfbar.

Radikaldemokratische Ideen

Gleichwohl verwundert es, wenn die FARC am venezolanischen Tropf hängen soll. Im offiziellen Bogot heißt es, die FARC wären dank ihrer Einnahmen aus dem Drogenhandel die reichste Partisanenarmee der Welt. Andererseits gibt es zumindest eine politisch-ideologische Nähe zwischen der Idee der Bolivarianischen Revolution von Venezuelas katholischem Staatschef Hugo Chvez und den FARC; auch die marxistische Guerilla bekennt sich seit einiger Zeit zu Chvez’ Rezeption der radikaldemokratischen Vorstellungen des Gläubigen Simn Bolvar.

Quito und Caracas haben die diplomatischen Beziehungen zu Bogot abgebrochen, ihre Truppen an den Grenzen zu Kolumbien verstärkt. Uribe sagt, er wolle nicht mit gleicher Münze reagieren. Der Ausgang einer möglichen militärischen Konfrontation ist ungewiss. Ekuadors Armee ist eher schwach. Venezuela und Kolumbien verfügen über gut organisierte, modern ausgerüstete Streitkräfte. Wahrscheinlich obsiegt der Wille, eine diplomatische Lösung zu finden. Am nächsten Dienstag findet eine Sondersitzung der Organisation Amerikanischer Staaten statt, der auch die USA angehören.

Der kolumbianische Bürgerkrieg hat sich mit den jüngsten Ereignissen endgültig internationalisiert und eine subkontinentale Dimension angenommen. In Kolumbien könnte am Ende eine Beteiligung der FARC und der anderen Guerillagruppen an der Macht stehen. Der Konflikt zwischen den linksregierten Staaten Lateinamerikas und den konservativen Verbündeten der USA ist in eine neue Phase eingetreten. Der Ausgang wird davon abhängen, wem es besser gelingt, die soziale Lage der armen Bevölkerung ihrer Länder zu verbessern und gleichzeitig demokratische Verhältnisse zu gewährleisten.

Quelle: ntv.de

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