Zwischenruf Russland und die EU: Ziemlich beste Gegner
04.06.2013, 16:17 UhrDer gegenwärtig in Jekaterinburg stattfindende EU-Russland-Gipfel zeigt, wie tief die Gegensätze zwischen beiden sind. Gleichwohl sind Brüssel und Moskau aufeinander angewiesen. Freunde werden Russland und die Mitgliedsstaaten der EU sicher nicht. Aber ziemlich beste Gegner müssen sie schon sein.
Frei von Spannungen waren die Beziehungen zwischen Russland und der Europäischen Union selbst zu Zeiten von Präsident Boris Jelzin nicht. Wirtschaftspolitisch befand sich der damalige Kremlchef am Gängelband von Ratgebern aus Westeuropa, deren neoliberaler Kurs einer der Gründe für die sogenannte Russlandkrise 1998/99 war. Auf bilateralem und außenpolitischem Gebiet hingegen kamen beide Seiten nie auf einen grünen Zweig. Gegenseitige Ressentiments, die weit in die Vergangenheit reichen, führten dazu, dass bis auf den Tag eine Art "lauwarmer Krieg" herrscht. Trotz der Beteuerungen beider Seiten, zwischen ihnen bestehe eine strategische Partnerschaft, gibt es in Grundsatzfragen kaum gemeinsame politische Standpunkte oder gar Initiativen.
Seit Beginn der zweiten Amtszeit von Präsident Wladimir Putin nehmen die Spannungen zu. Vor dem Hintergrund der zunehmend autoritären Züge der russischen Innenpolitik, des Konflikts um Gaslieferungen und die politische Zukunft der Ukraine wächst die offene Kritik von Seiten der EU und ihrer Mitgliedsstaaten an Moskau. Hinzu kommt, dass die meisten EU-Mitglieder auch der Nato angehören, welche die Errichtung eines Raketenabwehrschirms in unmittelbarer Nähe der Grenze zwischen Polen und der russischen Exklave Kaliningrad unterstützt. Russland empfindet dies als Bedrohung.
Schwierige Beziehungen
Wie vulnerabel die Beziehungen sind, zeigt die russische Forderung, ab dem 1. Juli Daten von Flugreisenden zur Verfügung zu stellen. Andernfalls soll den Airlines aus EU-Staaten der Zugang zu russischen Flughäfen und der Überflug russischen Territoriums verwehrt werden. Das mit einem erhöhten Sicherheitsbedürfnis begründete Anliegen ist formal korrekt. Brüssel gab 2011 dem Druck Washingtons nach und stimmte der Übergabe von Flugpassagierdaten zu. Da Moskau um den gänzlich unterschiedlichen Charakter der Beziehungen zwischen Westeuropa und den USA weiß, ist die Angelegenheit eine Provokation. Wenngleich absehbar ist, dass die Forderung zunächst auf Eis gelegt wird, so bleibt sie doch eine Belastung.
Zwischen dem Gebiet Kaliningrad und den EU-Mitgliedern Polen und Litauen ist seit 2011 kleiner Grenzverkehr möglich. Dem russischen Verlangen nach Aufhebung der Visumspflicht wird die EU jedoch auf absehbare Zeit kaum entsprechen. Das ist richtig. Andernfalls würden Tür und Tor für das organisierte Verbrechen geöffnet. Und zwar aus beiden Richtungen.
Auch im Konflikt in und um Syrien wird es wohl zu keiner Annäherung kommen. Die Aufhebung des Waffenembargos durch die EU, die Lieferung von S-300-Raketen und MiG-29-Jägern durch Russland werden eher zu einer Verhärtung der Positionen führen.
Gleichwohl brauchen Brüssel und Moskau einander. Die Handelsbeziehungen haben in den vergangenen Jahren eine spürbare Ausdehnung erfahren. Gute Ergebnisse wurden im Rahmen eines bis 2014 geltenden Abkommens über wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit erzielt. Das ist besonders für Russland von Vorteil, das bei Hightech einen erheblichen Nachholbedarf hat. Und da ist nicht zuletzt auch die Abhängigkeit der EU von russischen Öl- und Gaslieferungen. Trotz der latenten Gefahr eines Konflikts sollte die EU bedenken, dass die Energiewaffe letztlich eine stumpfe Waffe ist: Russland kann seine Energieressourcen weder selbst essen noch an sich selbst verkaufen. Frieden, Sicherheit und Wohlstand können nur durch Zusammenarbeit gesichert werden. Selbst bei bestmöglicher Gegnerschaft.
Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 das politische Geschehen für n-tv. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Manfred Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.
Quelle: ntv.de