Zwischenruf Slowakei-Ungarn: Spiel mit der Feuer
28.08.2009, 20:45 Uhr
Ungarns Präsident Laszlo Solyom auf der Brücke, die das ungarische Komarom mit dem slowakischen Komarno verbindet. Auf Druck seitens der Slowakei sagte er seine Teilnahme an einer Denkmalseinweihung in Komarno ab.
(Foto: REUTERS)
Kaum beachtet in der deutschen Öffentlichkeit hat sich der - fast - vor unserer Haustür schwelende Konflikt zwischen Ungarn und der Slowakei in den vergangenen Tagen zugespitzt. Beide Länder sind Mitglieder der Europäischen Union und der NATO. Die Konfrontation zwischen Budapest und Bratislava ist mithin mehr als nur ein Geplänkel - frei nach Goethe - weit hinten im Osten, wo die Völker aufeinanderschlagen.
Die slowakische Regierung fühlte sich zu Recht provoziert, als Ungarns Staatschef Lászlo Sólyom zur Einweihung eines Denkmals für den ungarischen König Stephan I. nach Komárno reisen wollte. Komárno heißt auf Ungarisch Komaróm und ist die heimliche Hauptstadt der, hauptsächlich, im Grenzgebiet zu Ungarn lebenden rund 530.000 Magyaren in der Slowakei. Deren Regierungschef Robert Fico erklärte Sólyom öffentlich zur "persona non grata", der daraufhin auf der Brücke über die Waag kehrtmachen musste. Die Absicht zu provozieren wird umso deutlicher, als alle diplomatischen Versuche der Slowakei den Staatschef des Nachbarlandes von seiner Einreise abzuhalten, fehlgeschlagen waren.
Vorangegangen waren vom ungarischen Parlament gesetzlich verankerte Vertretungsansprüche für die Auslandsungarn, wodurch sich seit 2005 nicht nur die Slowakei, sondern auch der damals als Serbien und Montenegro firmierende Rest Jugoslawiens und Rumänien herausgefordert sahen: In der jetzt zu Serbien gehörenden Vojvodina leben etwa 300.000, im rumänischen Siebenbürgen 1,5 Millionen ethnischer Ungarn. Das Land hatte diese Gebiete ebenso wie die heutige Südslowakei nach dem Ende der k. und k. Monarchie durch den Vertrag von Trianon 1920 verloren. Das waren zwei Drittel des altungarischen Territoriums.

Der slowakische Regierungschef Robert Fico erklärte Solyom öffentlich zur "persona non grata".
(Foto: REUTERS)
Beide Staaten sind durch eine gemeinsame, vielfach leidvolle, Geschichte miteinander verbunden. Die slowakische Hauptstadt Bratislava war als Pozsony zeitweilig Ungarns Kapitale, in beider Staatswappen taucht das sogenannte Stephanskreuz auf, das auch die Rückseite der slowakischen Euromünzen ziert.
Aber auch die Slowakei ist schuld an der Eskalation. Das am 30. Juni verabschiedete Sprachgesetz erklärt das Slowakische nicht mehr nur zur offiziellen, sondern zur Staatssprache. Demnach darf – zum Beispiel - ein ethnisch ungarischer Notarzt seinen ethnisch ungarischen Patienten nur auf Slowakisch ansprechen. Sogar Grabinschriften müssen zunächst in der "Staatssprache" verfasst sein; das Ungarische darf unter dem Slowakischen erscheinen, die Buchstaben dürfen keinesfalls größer sein. Andernfalls drohen Geldstrafen bis zu 5000 Euro.
Fahnenverbrennungen auf beiden Seiten, Hasstiraden in den jeweiligen Staatsmedien, Belästigungen des Botschaftspersonals der jeweils anderen Seite, Aufmärsche sind an der Tagesordnung. Kurioserweise werden beide Länder von sozialdemokratischen Parteien regiert, die Mitglieder der Sozialistischen Internationale sind. In beiden Staaten aber haben rechtsnationalistische Kräfte einen erheblichen Einfluss auf die öffentliche Meinung. In Ungarn macht die Jobbick-Partei mit ihrer faschistischen Schwarzen Garde nicht nur mörderische Jagd auf Roma, sondern hetzt auch gegen die Slowakei. Dort ist die rechtspopulistische Nationalpartei des einst in Wien beim Autodiebstahl ertappten Ján Slota sogar an der Regierung beteiligt. Antisemitismus grassiert nördlich und südlich der Waag allenthalben.
Hintergrund der Spannungen sind nicht nur verdeckte Gebiets- oder Mitvertretungsansprüche. Das wirtschaftlich marode Ungarn fürchtet, dass ausländische Investoren in die vergleichsweise florierende Slowakei abwandern. Die wiederum sieht ihre innere Stabilität durch großungarisches Gehabe bedroht. Die Nationalismen auf beiden Seiten sind nach dem Zusammenbruch des Staatsozialismus zudem eine Art nationaler Kitt.
Die Europäische Union, gegebenenfalls auch die NATO, sollte rechtzeitig reagieren, bevor der Konflikt weiter eskaliert. Noch ist es ein Spiel mit dem Feuer.

Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.
Quelle: ntv.de