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Zwischenruf USA-Pakistan: Hassliebe und Zweckehe

Sicherheitskräfte vor dem Haus des erschossenen Topterroristen Bin Laden.

Sicherheitskräfte vor dem Haus des erschossenen Topterroristen Bin Laden.

(Foto: AP)

US-Senator John Kerry reist nach Pakistan, um nach der Erschießung Bin Ladens durch US-Spezialkräfte auf dem Territorium des südasiatischen Staates die Wogen wieder zu glätten. Fraglich, ob eine Normalisierung der Beziehungen von Dauer sein wird.

Wenn es stimmt, dass sich Pakistan in seinen Beziehungen zu den USA in der Rolle des geschlagenen Eheweibs sieht, dann sind die Vereinigten Staaten der ausgetrickste Gatte, was zugegebenermaßen weniger schmerzhaft ist. Beide Seiten haben einander stets gebraucht: Islamabad kann ohne Hilfe aus Washington seine strategische Position gegenüber dem Erzfeind Indien nicht halten; die pakistanische Atombombe wurde nur möglich, weil die USA nach der sowjetischen Invasion in Afghanistan ihren Widerstand gegen deren Bau aufgaben. Die Vereinigten Staaten können wegen des Krieges in Afghanistan nicht auf den Alliierten verzichten. Zugleich sind die USA bestrebt, sich jede nur bietende Lücke in den Beziehungen Pakistans zu China auszufüllen. China ist langfristig der Gegner der USA auf allen relevanten Ebenen.

Muslime verbrennen in Pakistan ein Banner mit dem US-Präsidenten.

Muslime verbrennen in Pakistan ein Banner mit dem US-Präsidenten.

(Foto: AP)

Spannungen resultieren aus unterschiedlichen religiösen Kulturen und Partikularinteressen. Pakistan benötigt für seine Auseinandersetzung mit Indien ein Hinterland, das in die Tiefe geht: Afghanistan. Dabei ist es egal, wer in Kabul den Turban aufhat. Wichtig ist lediglich ein freundschaftliches, zumindest aber gutnachbarschaftliches Verhältnis. Das erklärt die Doppelbödigkeit der pakistanischen Politik gegenüber den Taliban. Einerseits dient sich das Land den USA als Partner im Kampf gegen den islamistischen Terror an. Andererseits unterstützt Islamabad Taliban wie Al-Kaida. Islamabad ist klar, dass eine Lösung des Konfliktes im Nachbarland nur unter Einschluss der Islamisten möglich ist. Da ist es heute schon sinnvoll, den Partner von morgen nicht zu verprellen. Ganz abgesehen einmal davon, dass die Taliban von beiden Seiten anfänglich als Ordnungsfaktor in Afghanistans postsowjetischen Bürgerkrieg aufgepäppelt wurden.

Die Frage ist nur, ob die in ihrer Mehrheit religiösen Pakistani solche Überlegungen weiter goutiert. Unberücksichtigt darf nicht bleiben, dass in Pakistan schreiende soziale Ungerechtigkeit herrscht, die muslimische Fundamentalisten nur allzu oft für sich ausnutzen. Washington ist zu Recht beunruhigt, dass die ohnehin schwache Regierung Jussuf Raza Gilani nach der Erschießung von Osama bin Laden unter noch stärkeren Druck religiöser Fanatiker gerät. Eine Machtübernahme durch offen radikalmuslimische Kräfte würde diesen den Zugang zur Atombombe ermöglichen. Eine offene US-Invasion wäre schon aus Ressourcengründen unmöglich. Dann bliebe nur noch ein Militärputsch. Nicht nur deshalb war die Nacht-und-Nebel-Aktion von Abbottabad ein strategischer Fehler.

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Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.

Quelle: ntv.de

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