Zwischenruf Von der Spree an die Isar
27.10.2008, 15:57 UhrAlle Gute, wünscht die Kanzlerin ihrem scheidenden Agrarminister, als dieser sich nach München aufmacht, um sich zum Ministerpräsidenten wählen zu lassen. Davon wird er viel gebrauchen, denn an der Isar bläst ihm ein scharfer Wind ins Gesicht. Zwar haben am Ende bei der Wahl nur vier Stimmen aus der neuen schwarz-gelben Koalition gefehlt. Doch es war wohl ein gerüttelt Maß an Druck vonnöten, die Widerspenstigen zu bekehren. Als die christsoziale Landtagsfraktion Seehofer zum Kandidaten kürte, waren von 76 Abgeordneten immerhin noch zehn dagegen. Der Groll gegen den Oberbayern ist groß, vor allem bei den Franken, die lieber ihren Günther Beckstein behalten hätten. Jeder noch so kleine Anlass dürfte Seehofers innerparteilichen Kontrahenten Recht sein, um ihn aufs Korn zu nehmen. Die Zeiten, in denen der Chef sakrosankt an der Spitze stand, sind spätestens seit den Buhrufen für Edmund Stoiber auf dem Parteitag vom Wochenende vorbei.
Seehofer steht vor der Aufgabe, das Profil seiner Partei zu schärfen. Das kann er nur, wenn er überzeugend gegen Berlin wettert. Dabei kann er sogar auf die Hilfe des liberalen Koalitionspartners setzen, der ja auch seine Daseinsberechtigung unter Beweis stellen, aber keine Rücksicht auf großkoalitionäre Befindlichkeiten nehmen muss. Der künftige Wirtschaftsminister Martin Zeil ist ein alter Freund von Bundesparteichef Guido Westerwelle, der keine Gelegenheit auslässt, wider den schwarz-roten Stachel an der Spree zu löcken. Aber die FDP darf den Bogen nicht überspannen: Schließlich will die Partei nach den Bundestagswahlen im nächsten Jahr eine Koalition mit der Union bilden.
Auch die CDU muss wissen, wann sie den Zweihänder schwingt und wann das Florett. Seehofer, einst der Repräsentant der „Berliner CSU“ gegen die „Münchner CSU“, muss Rücksicht auf die Große Koalition nehmen und zugleich Eigenständigkeit beweisen. In Sachen Erbschaftssteuer will er, bei der Pendlerpauschale muss er hart bleiben. Hier Kompromisse zu finden wird schwierig. Die CDU ist nicht leicht zum Einlenken zu bewegen, wie die jüngsten Watschen von Generalsekretär Ronald Pofalla für CSU-Wirtschaftsminister Michael Glos zeigen.
Das Verhältnis zwischen den beiden konservativen Parteien wird künftig weniger von schwesterlichen Familienverhältnissen bestimmt sein. CDU und CSU werden einander künftig in zunehmendem Maße als Koalitionspartner begreifen, die gleichwohl auf Gedeih und Verderb aneinander gebunden sind. Ob der Wähler das begreift, wenn der Jubel verklungen ist und die Mühen der Ebene beginnen? Wenn nicht, dann lebt nach den Bundestagswahlen der Geist von Kreuth wieder auf.
Der nächste Prüfstein sind die Europawahlen im Juni. Sollte sich die CSU bis dahin nicht berappelt haben, wird die Luft dünn für die Union. Da hilft dann auch kein Gerede, dass eine Europawahl etwas ganz anderes ist als eine Bundes- oder Landtagswahl.
Quelle: ntv.de