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Kommentar Wofür Hamastan gut ist

Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem

Die Übernahme der Kontrolle des "besetzten Gazastreifens" durch die Hamas, wie es der arabische TV-Sender Al Dschesira mit einem vermeintlichen Widerspruch formulierte, animierte den prominenten israelischen Arabienforscher Guy Bechor zu einer Analyse der "positiven" Seiten der Vorgänge im Gazastreifen.

Die radikale Hamas werde im Gazastreifen keine Nebenbuhler dulden. Die Autonomiebehörde werde kein Mitspracherecht mehr haben. Die öffentliche Ordnung werde gemäß den Vorstellungen der Hamas und nicht mehr mit Fatah-Polizeikräften durchgesetzt. Beobachter im Gazastreifen erzählen am Telefon, dass die islamistische Hamas wohl bald die Scharia zum geltenden Recht erheben werde.

Aus israelischer Sicht "positiv" sei, dass es im Gazastreifen künftig nur noch einen Hausherrn geben werde. "Bisher mussten wir Rücksichten nehmen, um nicht unsere sogenannten Freunde von der Fatah zu treffen, wenn wir gegen Hamas oder Dschihad kämpften", sagt Bechor. Bisher konnte sich die Autonomiebehörde unter Arafat oder Abbas nach Angriffen auf Israel jeglicher Verantwortung entziehen, indem sie auf "unkontrollierte bewaffnete Gruppen" verwiesen. Aus Rücksicht auf die internationale Gemeinschaft machte Israel dieses "Spiel" teilweise mit.

Die Hamas wird in Kürze der einzige "Ansprechpartner" sein. Noch ist unklar, ob Israel dann in einen pragmatischen Dialog mit Hamas treten will. Die neuen Machthaber werden sich nämlich nicht mehr hinter mit Ausreden wie "mangelnde Kontrolle" herausreden können, sowie der Gazastreifen ein "Feindesland aus einem Guss" ist. Israel müsse dann nach Angriffen nicht mehr nach "wahren" Verantwortlichen suchen.

Phase der Ruhe

Das - so Bechor - bedeute für die Hamas, nicht mehr von einem Waffenstillstand reden zu können und gleichzeitig der Dschihad Islami Organisation Kassamraketen zu liefern, um Israel zu beschießen. Bechor sagt deshalb eine "ruhige Phase" voraus. Denn Hamas dürfte ihren militärischen und politischen Sieg über die Fatah nicht mit Provokationen gegen Israel verspielen wollen. "Eine ähnliche Lage haben wir mit der Hisbollah im Libanon. Seit acht Monaten herrscht absolute Ruhe."

Sowie Hamas die Kontrolle übernimmt, würde das für Israel zusätzlich bedeuten, sich weiter aus der Verantwortung für den Gazastreifen ziehen zu können. Die internationale Gemeinschaft hält Israel weiterhin für den formalen "Besatzer", trotz des Rückzugs aus dem Landstreifen im Sommer 2005. Wegen der Hamas-Gefahr könnte Israel die Grenzen noch hermetischer abriegeln. Ob Israel den lebenswichtigen Warenterminal in Karni schließt, den Wasserhahn zudreht oder den Strom abschaltet, sei eine politische Entscheidung der Regierung in Jerusalem, meint Bechor.

"Hamastan" abgeschnitten

Ähnlich verhält es sich mit dem einzigen "Tor zur Welt", dem Grenzübergang nach Ägypten. Seitdem die Hamas die dort Dienst tuenden Präsidentengarden der Fatah vertrieben hat, ist die Grenze geschlossen. Die Abkommen für eine Präsenz europäischer Beobachter und israelische Kameraüberwachung wurden mit der Autonomiebehörde ausgehandelt. Die Hamas müsste also direkte Verhandlungen mit Ägypten, den Europäern und letztlich auch mit Israel führen, um die Grenze wieder zu öffnen. Ohne offene Grenzen wäre ein wirtschaftlicher Zusammenbruch nur eine Frage der Zeit. Zudem haben internationale Hilfsorganisationen, darunter die UNO-Flüchtlingshilfeorganisation UNRWA, ihre Arbeit weitgehend eingestellt.

Nach dem Militärputsch gegen Abbas und die Institutionen der Autonomiebehörde dürften nur noch wenige von Israel eine Anerkennung der "demokratisch gewählten" Hamas fordern. Ebenso dürfte sich eine Anerkennung der "Einheitsregierung" erübrigen, sowie Abbas dem Ruf seiner Freunde der Fatah Folge geleistet hat, sie aufzulösen.

Welche Folgen die Gewaltherrschaft der Hamas für die palästinensische Bevölkerung haben wird, ist schwer vorherzusagen. Eine spontane Protestdemonstration war schnell aufgelöst, indem die Hamaskämpfer in die Menge schossen, zwei Frauen töteten und Dutzende verletzten. Gefangene Fatah-Leute wurden vor den Augen ihrer Familien auf der Straße ermordet. Den Menschen bleibt nur die Alternative, sich zu ducken oder die Flucht in den Sinai zu versuchen, falls Ägypten das zulässt.

Quelle: ntv.de

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