Armer Sünder hat versagt Wulffs Rücktritt würde nichts ändern
21.12.2011, 13:35 Uhr
Das persönlich gesprochene Eingeständnis hat Wulff bislang nicht über sich gebracht.
(Foto: dapd)
Christian Wulff hat seine eigenen Maßstäbe verletzt, er hat damit sich und sein Amt beschädigt. Sein Verhalten in der Kreditaffäre ist zudem hochgradig unklug - es gehört sich nicht, mit den Bürgern über Anwälte zu kommunizieren. Und doch wäre sein Rücktritt ein trügerisches Signal.
Vom früheren SPD-Chef Hans-Jochen Vogel ist überliefert, dass er grundsätzlich so preisgünstig wie möglich reiste. Als Vogel im Frühjahr 1986 mit einer SPD-Delegation nach Peking flog, saßen er und seine Mitreisenden folglich in der Touristenklasse. Auf dem Rückflug bot die Lufthansa an, die Gruppe in der Ersten Klasse unterzubringen, denn das Flugzeug war überbucht. Vogel lehnte ab: "Ich bin ein altmodischer Mensch und fliege nur in der Sitzklasse, für die ich auch bezahlt habe."
Ein Vierteljahrhundert später diskutiert die Republik darüber, ob es in Ordnung ist, dass ein Bundespräsident in seiner Zeit als Regierungschef eines Bundeslandes einen Privatkredit verheimlicht hat. Obwohl Christian Wulff seit Monaten wusste, dass Journalisten an dem Thema dran sind, brauchte er zwei Tage, um öffentlich einzusehen, dass es "besser gewesen" wäre, wenn er auf die Anfrage im niedersächsischen Landtag "über die konkreten Fragen hinaus auch diesen privaten Vertrag mit Frau Geerkens erwähnt hätte".
Seither ist kaum ein Tag vergangen, an dem nicht ein weiteres unangenehmes Detail aus dem finanziellen Privatleben der Eheleute Wulff bekannt wurde. Nach aktuellem Stand scheint nichts davon strafrechtlich relevant zu sein. Aber das ist wohl kaum der Maßstab, an dem ein Bundespräsident zu messen ist.
"Ich leide physisch"
Eines von Wulffs Problemen ist, dass er die Latte selbst sehr hoch gelegt hat. Nun fliegen ihm Zitate um die Ohren, die er besser nicht gesagt hätte - jedenfalls dann nicht, wenn er auf den privaten Kredit und auf die Einladungen seiner reichen Freunde nicht verzichten wollte. "Ich leide physisch darunter, dass wir keinen unbefangenen Bundespräsidenten haben", sagte Wulff vor elf Jahren, als sein Vor-Vorgänger Johannes Rau in eine ganz ähnliche Affäre verwickelt war. Wulffs Interviewbuch, für das der umstrittene AWD-Gründer Carsten Maschmeyer die Werbung finanziert hatte, trägt den Titel "Besser die Wahrheit", ausgerechnet. Und auf dem Bankentag im vergangenen März sagte Wulff, wer zur Elite eines Landes gehöre wolle, "muss auch Vorbildfunktion und Verantwortung übernehmen - ohne Wenn und Aber".
Wulff hat sich an seine Appelle nicht gehalten. In dieser Hinsicht hat er Privatleben und Beruf offenbar strikt getrennt. Das ist nun nicht mehr zu ändern. Allerdings hätte Wulffs Verhalten nach Bekanntwerden der Kreditaffäre deutlich klüger sein können: Ein Bundespräsident, der mit den Bürgern über seine Anwälte spricht, hat den Kern der Jobbeschreibung nicht verstanden.
Allerdings ist es fair, Wulff auch an den Maßstäben der politischen Klasse insgesamt zu messen. Hier liegt die Latte deutlich niedriger als in den Wulff'schen Sonntagsreden. Der ehemalige Ministerpräsident des Saarlands wechselte unlängst ans Bundesverfassungsgericht, ein früherer Bundeskanzler wie auch sein damaliger Außenminister finden nichts dabei, heute als Lobbyisten zu arbeiten. Um nur drei Beispiele für völlig legales Fehlverhalten zu nennen.
Zum Beispiel Merkel
Ein Mensch wie Hans-Jochen Vogel wäre im heutigen Politikbetrieb kein Exot, sondern eine Lachnummer. Zu diesem Niedergang der politischen Kultur haben nicht nur die Schröders und Wulffs beigetragen, die ihr Stück vom großen Kuchen haben wollten. Dazu beigetragen haben auch Politiker, von denen man sich beim schlechtesten Willen ähnliches Verhalten nicht vorstellen kann.
Zum Beispiel Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie hat Wulff als Bundespräsidenten ausgesucht, obwohl klar war, dass die von ihm zur Schau getragene Integrität zumindest angekratzt war. Sie war es übrigens auch, die selbst dann noch an Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg festhielt, als der die Chuzpe hatte, Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin indirekt mit einer Anzeige wegen übler Nachrede zu drohen.
Merkel und andere Politiker der Koalition sind nun eifrig dabei, dem Bundespräsidenten immer wieder "volles" oder "vollstes" Vertrauen auszusprechen, natürlich "aus Respekt vor dem Amt". Das ist nachvollziehbar, denn auch ohne die Affäre Wulff hat die Kanzlerin genug mit der Schuldenkrise und der Dauerkrise ihrer maroden Koalition zu tun. Streit um die Frage, wer nach Wulff ins Schloss Bellevue einziehen soll, kann das wankende Bündnis nicht brauchen.
Aber auch außerhalb solch taktischer Erwägungen sprechen zwei Gründe gegen einen Rücktritt: Erstens lehnen einer aktuellen Forsa-Umfrage zufolge 79 Prozent der Bundesbürger einen solchen Schritt ab. Das ist kein zwingendes, aber ein starkes Argument.
Und zum zweiten brächte ein Rücktritt nur den trügerischen Anschein einer Katharsis, einer Reinigung der politischen Kultur. Für eine solche wäre mehr nötig als der Amtsverzicht eines Provinzpolitikers, den es nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten offenbar stets in die Erste Klasse drängte. Wulff kann Bundespräsident bleiben, weil sein Rücktritt nichts ändern würde. Wenn er die Worte aufbrächte, die Kardinal Meisner ihm vorschlug, hätte sein Verbleib im Amt vielleicht sogar einen pädagogischen Wert. Er, so sagte Meisner, würde an Wulffs Stelle sagen: "Ich bin ein armer Sünder, habe versagt."
Quelle: ntv.de