Hartes Urteil im Wahllokal Griechen rechnen ab
07.05.2012, 12:33 Uhr
Nach der Wahl herrscht Ratlosigkeit in Griechenland.
(Foto: dpa)
Die Krise macht es möglich: Griechenlands Parteienlandschaft befindet sich im Umbruch. Nea Dimokratia und Pasok bekommen zusammen keine Mehrheit. Die Griechen rächen sich für die jahrzehntelange falsche Politik, die ihren Lebensstandard kräftig sinken ließ. Gleichzeitig erfahren radikale Parteien einen Aufschwung
Schon die alten Griechen schlugen sich mit ihrer Obrigkeit herum. In der Antike löste der Demos (das Volk) Probleme mit mächtigen Bürgern auf seine Weise. Es floss dabei nicht immer gleich Blut. Im antiken Griechenland, vor allem in der Athener Polis, gab es das "Scherbengericht". Bei diesem Verfahren wurden die Betroffenen, die in der Regel gleichzeitig äußerst unbeliebt waren, aus dem politischen Leben entfernt. Bruchstücke von Tongefäßen wurden als "Stimmzettel" genutzt. In der Regel dauerte die Verbannung zehn Jahre, danach konnte der Verurteilte zurückkehren und wieder am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Er durfte seinen Besitz behalten – es lief also alles ganz zivil ab.
Auch heute – mehr als 2000 Jahre später – wünschen sich viele Griechen wohl wieder so eine Art Rechtsprechung. Viele ihrer korrupten und unfähigen Politiker könnten sie zumindest für eine geraume Zeit in die Wüste schicken. Aber nun wird die Abrechnung mit den Sündern auf modernere Weise vollzogen. Der Demos des Jahres 2012 entscheidet an der über die Zukunft der politischen Klasse und des Landes. Rufe wie "Schande über euch" oder "Geht zum Teufel" skandiert er auf Kundgebungen. Wenn sein Ärger zu groß ist, dann lässt ein Teil des Volkes auch schon einmal Molotow-Cocktails fliegen und zündet aufgetürmte Reifenstapel an. Unterbezahlte Polizisten müssen sich mit dem Mob herumschlagen.
Dass die politische Lage angespannt und der Großteil der Griechen regelrecht geladen ist, hat sich bereits angekündigt. Viele Menschen wählten mit Schaum vor dem Mund und straften bei der vorgezogenen Parlamentswahl die erst seit Ende vergangenen Jahres installierten Notkoalition aus Nea Dimokratia (ND) und Pasok ab. Rund 32 Prozent erreichten beide Regierungsparteien zusammen. Im Vergleich zum Wahlergebnis von 2009 bedeutet das ein Minus von 45 (!) Prozent. Man stelle sich nur einmal vor, was in Deutschland los wäre, wenn Union und SPD solch massive Einbußen erlitten, Lafontaines und Gysis Linke zweistärkste Kraft im Bundestag würden und DKP und NPD in den Reichstag einzögen. Von großem Schaden für die Demokratie wäre die Rede. Zudem würde mehrmals am Tag der Satz "Die Demokraten müssten jetzt zusammenstehen" fallen. In jeder Talkshow würde das Ende des Abendlandes beschwört.
Ohne Zweifel hat es in Griechenland ein politisches Erdbeben gegeben. Die Große Koalition aus Konservativen und Sozialisten ist überhaupt nicht mehr groß. Zu dem wirtschaftlichen und finanziellen Chaos könnte sich nun ein politisches dazugesellen. Hinsichtlich einer Koalitionsbildung in Athen herrscht noch große Ahnungslosigkeit. Seit dem Ende der Militärdiktatur vor 38 Jahren hat es bis auf die vergangenen Monate und das Jahr 1989 immer nur Einparteienregierungen gegeben – von Koalitionsverhandlungen haben die griechischen Parteien bislang nicht den blassesten Schimmer. Nun sieht es ganz danach aus, dass vier Parteien für eine Regierung, die im Parlament auch eine stabile Mehrheit hat, benötigt werden.
"Sparen oder nicht sparen"
"Sparen, oder nicht sparen", das war die Frage, die den sehr kurzen Wahlkampf beherrschte. Die in den vergangenen zwei Jahren arg stimmten mehrheitlich für letzteres. ND und Pasok, die mit ihrer jahrzehntelangen den Karren in den Dreck gefahren haben, wurden als "Sparparteien" abgestraft. Aber eine gemäßigte Alternative bot sich den Menschen nicht. So strömten sie zu großen Teilen an die politischen Ränder und machten so ihrem Ärger Luft. Allerdings treiben sie ihr Land so noch tiefer in die Krise.

Der Vollmond bescheint am Wahlabend die antike Göttin Athene.
(Foto: AP)
Ein Zusammengehen der Abgewirtschafteten mit der zweitplatzierten Radikalen Linken (Syriza) ist eigentlich unmöglich. Dieses Bündnis ist ein Sammelsurium aus Trotzkisten, Maoisten und Autonomen. Die Sparbeschlüsse möchte es rückgängig machen und die griechischen Schulden einseitig streichen. Allerdings ist Syriza für einen Verbleib der Ägäisrepublik in der Eurozone. Kurzum: Es passt vorne und hinten nicht.
So muss sich ND-Chef Antonis Samaras woanders umschauen. Eine Möglichkeit wäre die Einbindung der Demokratischen Linken. Die Truppe von Foutis Kouvelis ist eine Abspaltung von der Syriza und weitaus moderater. Allerdings hat der Parteichef vor der Wahl signalisiert, kein Interesse an einer Zusammenarbeit mit der ND zu haben. Blieben noch die sogenannten Unabhängigen Griechen, die gegen den rigiden Sparkurs protestiert und sich deshalb von der Samaras-Partei abgespaltet hatten. In der Koalitionsregierung mit ND und Pasok säßen sie mit im Sparboot.
Ob Samaras eine handlungsfähige Regierung hinbekommt, ist offen. Um Kritiker auf seine Seite zu ziehen, kündigte der 60-Jährige bereits Nachverhandlungen mit EU und IWF über das Sparprogramm an. Und die Zeichen dafür stehen nicht schlecht, denn das Wort Konjunkturhilfe ist immer deutlicher vernehmbar. Das Sparen stürzt dagegen in den europäischen Politik-Charts immer weiter ab. Dabei bleibt die Haushaltssanierung weiterhin Hauptthema im nach wie vor vom Staatsbankrott bedrohten Land.
Bleibt zu hoffen, dass Griechenland nicht ins politische Chaos abdriftet. Europa tut gut daran, den Druck nicht weiter zu erhöhen, denn der Einzug der faschistischen Chrysi Avgi ins Athener Parlament ist ein Alarmsignal. Die Stärkung des Front National von Marine Le Pen in Frankreich und der Dunkelmänner der Goldenen Morgenröte in Hellas ist ein untrügliches Zeichen, dass eine Menge schief läuft. Bekommen diese Kräfte auch in den anderen Ländern Auftrieb, dann geht nicht nur die in die Binsen. Das gesamte europäische Projekt steht dann zur Disposition.
Es ist schon seltsam: In Europa herrscht große Sorge, weil das griechische Volk die Parteien, die jahrzehntelang gesündigt haben, abgestraft hat. Wäre nicht dieser fade Beigeschmack - vor allem durch die unappetitliche braune Suppe - müssten die Griechen dazu eigentlich beglückwünscht werden.
Quelle: ntv.de