Kritiker darf wohl aus China ausreisen "Chen erspart USA Niederlage"
04.05.2012, 21:06 Uhr
China lässt den Regimekritiker und Menschenrechtsaktivisten Chen Guangsheng wohl ausreisen. Dadurch werde der US-Diplomatie eine peinlich Niederlage erspart, ist sich die Presse einig. Denn die US-Botschaft in Peking sei nur eine vermeintliche sichere Obhut gewesen. Doch auch Peking habe ein Interesse daran gehabt, den Fall schnell zu beenden.
Die Frankfurter Rundschau warnt, auf ein grundsätzliches Umdenken in der chinesischen Führung zu hoffen. Die jüngste Entwicklung sei eher das Ergebnis einer günstigen Fügung. "Peking entledigt sich mit der Abschiebung Chens und seiner Familie eines unliebsamen Kritikers. Zugleich erspart Staatspräsident Hu Jintao der US-Diplomatie eine peinliche Niederlage." Schließlich habe sich Chen in die vermeintlich sichere Obhut der US-Botschaft in Peking begeben, wo ihm aber nicht wirklich geholfen worden sei. "Letztlich profitiert der Menschenrechtler davon, dass Washington und Peking in dieser Woche in Regierungskonsultationen steckten und beiderseits ein Interesse bestand, die Sache möglichst rasch abzuräumen."
Die Nürnberger Zeitung schreibt: "Gesichtswahrung ist seit jeher eine zentrale Grundhaltung im Reich der Mitte. Problemlösung muss in China deshalb schnell und stillschweigend vonstatten gehen. Denn nach der konfuzianischen Lehre, wonach der Ausbruch eines Krieges allein schon als gescheiterte Strategie gesehen wird, sind Probleme, die an die Öffentlichkeit gelangen, einfach peinlich. Das war Chens Glück."
Die Magdeburger Volksstimme ist der Meinung, dass die Debatte um Chen Guangcheng aus Sicht der USA zu keinem schlimmeren Zeitpunkt hätte hochkochen können. Das Verlangen des Bürgerrechtlers, aus China auszureisen, habe die bilateralen Gespräche, zu denen Hillary Clinton nach Peking gereist ist, überschattet. " China ist Hauptgeldgeber der USA, hält US-Staatsanleihen im Wert von 1,3 Billionen Dollar - und sitzt somit am längeren Hebel. Mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen werden die Republikaner die Causa Chen gegen Barack Obama verwenden - egal wo die Reise für den Bürgerrechtler endet." Werde er weiter in China festgehalten, müssten die Demokraten den Vorwurf erdulden, sich nicht für Menschenrechte einzusetzen, schreibt das Blatt weiter." Darf Chen ausreisen, werden sich die Republikaner in Theorien über einen fragwürdigen Deal ergießen. Gefragt ist nun Hillary Clintons Fingerspitzengefühl."
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung gibt zu bedenken, dass die Amerikaner dem chinesischen Menschenrechtsaktivisten Chen Guangsheng zwar die Tore ihrer Botschaft in Peking geöffnet haben. Aber dann hätten sie es zugelassen, den Dissidenten aufgrund einer offensichtlich nicht verbindlichen Sicherheitszusage wieder in chinesische "Obhut" gehen zu lassen. "Um fast jeden Preis wollte Washington vor Beginn der Regierungskonsultationen, zu denen unter anderem Außenministerin Clinton nach Peking reiste, jede "Störung" vermeiden, auf dass Peking die Vereinigten Staaten auf vielen internationalen Konfliktfeldern nur nicht alleine lasse. Man muss bezweifeln, dass mit einer solchen Haltung auf Dauer ein gedeihliches Verhältnis zwischen Washington und Peking herzustellen ist."
Quelle: ntv.de, zusammengestellt von Thomas E. Schmitt