Wahlen in Griechenland "Das Drama ist nicht beendet"
18.06.2012, 19:56 Uhr
Der konservative Antonis Samaras und der Sozialdemokrat Evangelos Venizelos werden über eine Koalition verhandeln.
(Foto: dpa)
Griechenland hat gewählt - und Europa ist nicht viel schlauer als vor dem Urnengang. Zwar ist durch den Wahlsieg des Konservativen Samaras über das Linksbündnis Syriza das Szenario eines Euro-Austritts zunächst abgewendet. Doch die Zukunft des hochverschuldeten Landes bleibt unsicher. Deutsche Tageszeitungen ziehen Bilanz.
"Der Wahlausgang gewährt dem Land eine Verschnaufpause. Immerhin deuten erste europäische Politiker an, dass die Sparauflagen für Athen gelockert oder zumindest zeitlich gestreckt werden könnten", heißt es in der Westdeutschen Zeitung. Denn klar sei, dass das straffe Sparprogramm der vergangenen zweieinhalb Jahre nicht gewirkt habe. "Daher werden Forderungen laut, dass auch mehr in Wachstum und Infrastruktur in Griechenland investiert werden müsse. Athen darf auf noch mehr Geduld hoffen, die die gesamte Euro-Zone indes einiges kosten wird."
"Wo hier Anlass zu Erleichterung zu sehen ist, erschließt sich somit nicht", so das Mindener Tageblatt. "Das Hauptproblem in Griechenland: Wie sollen die alten Figuren und Gesichter dem Land Hoffnung und eine Perspektive auf Besserung geben? Die es doch so viel dringender braucht als den Euro oder jeden weiteren Konkurs-Aufschub. Und die ihm auch vermeintlich neue Hoffnungsträger nicht bieten können, weil sie der alten Elite an Populismus und Unseriosität um nichts nachstehen. Nein, das griechische Drama ist auch mit dieser Wahl längst nicht beendet."

"Das Linksbündnis Syriza, der zweite Sieger dieser Wahlen, hat von der Wut der Griechen auf ein Sparprogramm, das sie ins Elend gestürzt hat, profitiert - und vom jugendlichem Image ihres Führers Alexis Tsipras", schreibt die Berliner Zeitung. In Sachen Populismus habe er Samaras wenig nachgestanden. "Wie er seine Wahlversprechen finanziert hätte, konnte er nicht überzeugend erklären. Der Realitätstest bleibt ihm nun erspart. Man darf annehmen, dass er darüber nicht so traurig ist. Er wird die Straße mobilisieren. Seine Chance hat er noch vor sich."
Nach Ansicht der Stuttgarter Zeitung gibt es gute Gründe für eine Koalition der konservativen Neo Dimokratia und der sozialistischen Pasok: "Der erste Grund: Griechenland braucht dringend eine handlungsfähige Regierung, ein nochmaliges Scheitern der Koalitionsgespräche und ein dritter Wahlgang führten in den sicheren Staatsbankrott. Der zweite Grund: eine solche Koalition bietet eine Chance zur Läuterung und Erneuerung der beiden angeschlagenen Traditionsparteien - dann nämlich, wenn sie zeigen, dass sie mit den Problemen entschlossen und verantwortungsvoll umgehen."
"Eigentlich müssen sich die Griechen fühlen wie ein Ertrinkender, dem man die eine Hand hinhält, um ihn aus dem Wasser zu ziehen", meint die Mittelbayerische Zeitung. "Und mit der anderen Hand drückt man ihm dann die Gurgel zu. Ein kleines Entgegenkommen beim Lehrmeister Deutschland - so wie es Außenminister Guido Westerwelle andeutete - könnte Griechenland eine goldene Brücke bauen, auf die das Volk dort wartet." Ein zeitlicher Aufschub für die Erneuerung des Landes würde den Menschen wieder Luft zum Atmen lassen, und ein wirtschaftliches Wiederaufbauprogramm eine Perspektive bieten. "Das wären Grundvoraussetzungen für einen Befreiungsschlag. Denn ohne Unterstützung des Volks werden sich Reformen kaum durchsetzen lassen. Sollte sich Samaras aber auch künftig als Trickser und Täuscher erweisen, muss die EU den Griechen die Rote Karte zeigen."
"Theoretisch ist es richtig von Deutschland, auf einmal beschlossenen Verträgen und Grundsätzen zu beharren", so das Hamburger Abendblatt. "Aber wenn sie in der Praxis nicht funktionieren, hat Prinzipienreiterei wenig Sinn", gibt die Zeitung zu bedenken. An Verschuldungsgrenzen habe sich auch Berlin bei Bedarf nicht gehalten. "Und völlig zu Recht wurde schon bei der Einführung der gemeinsamen Währung kritisiert, dass eine solche ohne eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik ein fragwürdiges Unternehmen darstellt. Nun muss mitten im Strudel der Krise versucht werden, diesen kardinalen Geburtsfehler zu korrigieren. Tatsächlich geschieht das ja auch schon Schritt für Schritt. Und vermutlich sind Krisenzeiten auch die einzige Chance, so etwas umzusetzen."
Das sieht der Münchner Merkur anders: "Wenigstens in einem ist sich der neue Regierungschef Samaras mit der Opposition einig: In Hellas haben die von der Troika verordneten Reformen mehr geschadet als genutzt, weshalb der Kurs dringend gelockert werden müsse. Falsch! In Hellas kann der Reformkurs gar nicht gescheitert sein, weil es Reformen überhaupt nicht gab. Unpopuläres aber sagt Samaras seinen Landsleuten nicht gern. Er war es auch, der den Sparkurs der Vorgänger einst als Heimatverrat brandmarkte. Und jetzt soll just er der Held sein, der die zerrissene Nation dazu bringt, sich aus ihrem Selbstmitleid zu befreien und die Ärmel hochzukrempeln? Nur mit Larmoyanz und Krawall werden die Hellenen auf Dauer nicht ihren Euro behalten können, den sie so sehr lieben, dass sie dafür sogar den als Wendehals verrufenen Samaras wählen."
"Forderungen nach einem Rabatt für Athen, den Griechen mehr Zeit zu gewähren, sind wohlfeil, aber verfrüht", betonen die Westfälischen Nachrichten. Griechenland habe eine letzte Chance bekommen. "Um diese zu nutzen, muss vorrangig eine tragfähige, verlässliche Koalition geschmiedet sein. Allein das angeschlagene Hellas ist nicht mehr das größte Problem. Das Zittern um Griechenland hat kurzfristig abgelenkt vom tieferen Kern der Euro-Malaise. Die Schuldenkrise rollt mit Macht auf Spanien zu: Die Zinsen steigen auf Rekordhöhe. Auch Italien gerät zusehends wieder in schwieriges Fahrwasser."
"Die Schicksalswahl vom Sonntag, die aus Sicht von Merkel, Barroso, Juncker & Co. ihr Wunschergebnis hervorbrachte, bedeutet für die Eurozone aber keineswegs das Ende der Krise, sondern bestenfalls eine kurze Verschnaufpause", meint auch die Frankfurter Neue Presse. Die Blaupause dafür hätten die Finanzmärkte geliefert. "Die ersten Reaktionen an den asiatischen Märkten waren noch überschwänglich. Auch Europas Börsen öffneten am Morgen mit einem Kurs-Freudensprung. Doch der währte nicht lange. Dunkle Wolken zogen von den Anleihemärkten herbei. (...) Die Erholung war nur ein Strohfeuer, das sein Licht auf die viel größere Bedrohung für die Eurozone wirft: Spanien und Italien. Das Endspiel um den Euro wird in Rom oder Madrid angepfiffen."
Quelle: ntv.de