Pressestimmen

Zypern und die Rettung in letzter Minute "Das Ganze hat ein G'schmäckle"

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(Foto: dapd)

Zypern bekommt seine Milliarden. Nach einem wahren Verhandlungsmarathon kommt es zur Einigung zwischen EU und Staatschef Anastasiades. Aber ist die Mittelmeerinsel nun wirklich gerettet? Die Kommentatoren der deutschen Tageszeitungen sind skeptisch und üben heftige Kritik am Krisenmanagement der Eurogruppe.

Für den Berliner Tagesspiegel ist Zypern längst nicht gerettet. Hier befürchtet man trotz der Einigung drastische Konsequenzen: "Mit dem Wegfall der Erträge aus dem aufgeblähten Finanzsektor wird die Wirtschaft der Insel nun um mindestens ein Viertel schrumpfen und viele tausend Zyprer werden ihre Arbeit verlieren. Zudem wird Zypern in Kürze mit dem gewährten Überbrückungskredit von zehn Milliarden Euro das am höchsten verschuldete Land der Euro-Zone sein. In dieser Lage ist es unverantwortlich, dem Inselstaat ein Sparprogramm zu verordnen, das die Bevölkerung der Verelendung und erzwungenen Auswanderung preisgibt."

Der Kölner Stadtanzeiger stellt die Frage: Was tritt in Zypern an Stelle der Bankgeschäfte? Der Kommentator meint: "Als Finanzplatz hat die Insel keine Zukunft mehr. Was an die Stelle der Finanzdienstleistungen treten könnte, ist noch völlig unklar. Bleibt die Hoffnung auf die Erdgas- und Erdölvorräte, die vor den Küsten Zyperns vermutet werden. Aber bis die Erlöse aus der Förderung sprudeln, werden mindestens noch fünf bis sechs Jahre vergehen. Bis dahin droht Zypern ein tiefer wirtschaftlicher Absturz. Die bevorstehende Rezession könnte soziale Konflikte auslösen, die letztlich dazu führen, dass die Zyprer dem Euro und der EU eines Tages doch noch den Rücken kehren."

Muss es betroffen machen, wenn eine europäische Institution so hart in die wirtschaftlichen Belange eines EU-Mitglieds eingreift? Das fragt sich die Osnabrücker Neue Zeitung und versucht darauf zu antworten: "Sicher nicht des russischen Geldadels wegen, der steuergünstig große Vermögen dem Zugriff Moskaus entzieht. Ebenso wenig Mitgefühl gebührt den Erfindern und Profiteuren des zyprischen Geschäftsmodells in der dortigen Finanzbranche. Deren Praktiken sind vielen europäischen Regierungen seit Langem ein Dorn im Auge. Zyperns Notlage bietet seinen Kritikern jetzt die günstige Gelegenheit, eine dreiste Steuerpolitik zu beenden. Kann man sich darüber freuen? Nein, denn die Enteignungen vermitteln den Eindruck eines vor nichts zurückschreckenden Euro-Regimes."

Für die Pforzheimer Zeitung ist der Euro allerdings längst noch nicht gerettet: "Die Flickschusterei geht munter weiter. Was bleibt, ist ein schwerer Vertrauensverlust. Zwar bleiben die Einlagen der Kleinsparer jetzt doch unangetastet. Aber das Ganze hat - auf gut Schwäbisch gesagt- ein "G'schmäckle". Viele Zyprioten werden heute ihr Geld abheben und künftig lieber unter das Kopfkissen legen. Und dass es mit der Zwangsabgabe tatsächlich die russischen Oligarchen getroffen hat, die ihre Schwarzgelder auf Zypern geparkt hatten, ist zweifelhaft. Nach der Pest kommt jetzt die Cholera, befürchtet etwa der Bremer Wirtschafts-Professor Rudolf Hickel. Die Probleme der Euro-Schuldenkrise sind noch längst nicht gelöst."

Der Frankentag übt deutliche Kritik am Krisenmanagement der EU: "Die Eurogruppe hätte diese gefährliche Hängepartie niemals zulassen dürfen. Es war unverantwortlich und auch naiv zu glauben, dass die zyprische Regierung diesen Hasardeur-Plan durchs Parlament bekommen würde. Die EU wird ebenfalls noch lange an der Episode zu knabbern haben. Die Kluft zwischen den reichen Nordländern und den ärmeren Südstaaten ist durch das Rettungsdesaster noch ein Stück größer geworden."

Der Bonner Generalanzeiger verteidigt hingegen die EU: "Diese Union ist nicht zuletzt deswegen so hart, unnachgiebig und konsequent vorgegangen, weil die Mittelmeer-Insel sich von allen Grundsätzen solider Staatsfinanzierung und stabilen Wirtschaftens verabschiedet hatte. Zum Schluss ging es nicht mehr um Finanzlöcher, sondern ganz gezielt auch darum, ein "Weiter so" für der zyprischen Steueroase zu verhindern. Das ist gelungen."

Quelle: ntv.de

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