Pressestimmen

Erwartungen an den NSU-Prozess "Das muss schiefgehen"

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Aktenordner mit der Aufschrift "Ermittlungsverfahren gegen Beate Zschäpe u.a." stehen im Gericht in München vor Beginn des Prozesses im Regal hinter dem Richtertisch.

Aktenordner mit der Aufschrift "Ermittlungsverfahren gegen Beate Zschäpe u.a." stehen im Gericht in München vor Beginn des Prozesses im Regal hinter dem Richtertisch.

(Foto: dpa)

Zehn Morde, Anschläge, Raubüberfälle – und jede Menge Ermittlungspannen: In München beginnt eines der größten und bedeutungsvollsten Strafverfahren der deutschen Nachkriegsgeschichte, der Prozess gegen Beate Zschäpe und vier mutmaßliche Helfer des rechtsextremen Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU). So groß oder weniger groß die Erwartungen der deutschen Journalisten an den Prozess sind – so unterschiedlich sind sie auch. Worauf kommt es an? Kann der Prozess die ganze Wahrheit ans Licht befördern? Solveig Bach von n-tv.de meint: "Der Rechtsstaat muss sich beweisen".

Für die Emder Zeitung fällt der Auftakt "zum wohl spektakulärsten Gerichtsprozess der deutschen Nachkriegsgeschichte" wie erwartet aus: "ein riesiges Medienaufgebot, ein paar Rangeleien und ein Befangenheitsantrag. Und mittendrin die Hauptangeklagte Beate Zschäpe, die (…) für manchen Beobachter im Gerichtssaal ein wenig zu selbstbewusst aufgetreten ist. Das alles müssen wir wohl ertragen, auch wenn es schwerfällt". Was bleibt, sei die Hoffnung auf eine gründliche Aufklärung: "Das Ziel muss sein, möglichst viel Licht hinter die Morde an neun türkisch- und griechischstämmigen Kleinunternehmern und einer Polizistin zu bringen. Beate Zschäpe kann dazu viel beitragen. Ob sie es tut, ist bislang nur eine Hoffnung".

Wenig Zuversicht hat die Heilbronner Stimme: "Auf der Anklagebank sitzt eine Frau, die bislang geschwiegen hat und auch das Angebot, als Kronzeugin besser wegzukommen, abgelehnt hat. Warum sollte sie nun reden?" Das Blatt erwartet einen langen Indizienprozess – an dessen Ende keineswegs sicher sei, ob es für eine Verurteilung Zschäpes als Mittäterin reicht. Der Kommentator aus Baden-Württemberg befürchtet indes ein Urteil, "das der Monstrosität der Taten nicht angemessen" sein wird. Fraglich sei zudem, ob es der Nebenklage gelingen werde, das Versagen der Behörden zu erhellen.

Auch der Kölner Stadtanzeiger äußert Bedenken: "Der Prozess wird überfrachtet mit sachfremden Erwägungen, ausgehend von der Überzeugung, dass der Rechtsstaat bisher versagt hat. Das muss schiefgehen. Das Münchner Gericht ist kein Reparaturbetrieb. Wenn es gelingt, zu harten und revisionssicheren Strafen gegen den NSU zu kommen, dann wäre das schon viel". Alle anderen Ansprüche könnten nur Frustration auslösen, die vor allem die Angehörigen der Toten träfen.

Diesen Standpunkt vertritt auch die Berliner Zeitung: "Das Gericht muss, verkürzt gesagt, den Gehalt der Anklageschrift prüfen. Es kann nicht die Versäumnisse des Rechtsstaates reparieren. Wer höhere Erwartungen schürt, löst Frustration bei den Schwächsten aus - den Angehörigen der Toten", heißt es auch hier. Immerhin, habe der Prozess im Beisein türkischer Journalisten und ohne Störungen Rechtsradikaler begonnen, heißt es weiter. Und das allein sei "eine gute Nachricht".

Forderungen, die politischen Konsequenzen verstärkt in den Fokus zu rücken, kommen von den Westfälischen Nachrichten: "Unabhängig von einem möglichen Schuldspruch gegen Beate Zschäpe: Es darf nicht sein, dass Köpfe und Strukturen von Verfassungsschutz und Geheimdiensten nach diesem ungeheuerlichen Ermittlungsdesaster ungeschoren davonkommen".

Bemüht, den Zweck des NSU-Prozesses in Erinnerung zu rufen, ist die Frankfurter Allgemeine Zeitung: "Das Verfahren hat eine enorme Bedeutung, aber es dient nicht dazu, die Erwartungen aller Beteiligten zu erfüllen (...). Es ist das Paradoxe an einer Hauptverhandlung, dass oft die Angeklagten als Opfer erscheinen. Aber sie sind eben noch keine Täter: Ihnen, den durch die Staatsmacht Vorgeführten, wird der Prozess gemacht. Dessen Ziel ist nicht die Überführung der Angeklagten - das gilt auch im NSU-Verfahren -, sondern eine möglichst objektive Entscheidung über deren Schuld. Die strengen Förmlichkeiten des Strafprozesses dienen einem fairen Verfahren. (...) Befangenheitsanträge gegen den Vorsitzenden Richter sind da nicht unüblich".

Die Aachener Nachrichten hoffen, zum Abschluss des Prozesses verstehen zu können, "wie hinter der freundlich-biederen Fassade einer Beate Zschäpe solch monströser Hass lodern konnte". Für die Tageszeitung aus Nordrhein-Westfalen stellt dies die zentrale Frage in diesem Prozess und in der Geschichte der NSU dar: "Eine Frage, deren Antwort uns ängstigt. Denn sie trifft diese Gesellschaft womöglich bis ins Mark".

Quelle: ntv.de

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