Erneute Massenproteste im Iran "Der Geist ist aus der Flasche"
17.07.2009, 21:25 UhrIm Iran kam es nach Wochen relativer Ruhe erneut zu Massenprotesten. Zum Freitagsgebet des einflussreichen regierungskritischen Klerikers Rafsandschani gingen bis zu Hunderttausende aus Protest gegen die Regierung auf die Straße. Die Presse sieht darin den Anfang vom Ende.

(Foto: AP)
"Die vielen Menschen, die nun erneut auf die Straße gehen, sind der sichtbarste Beleg dafür, dass der Aufstand gegen die Mullah-Unterdrückung noch lange nicht am Ende ist", kommentiert Die Welt das Geschehen in Teheran. "Die Demonstranten wissen, dass sie sich kleine Ziele setzen müssen und das Regime über die überlegenen Machtmittel verfügt. Aber wem die Legitimität durch das Volk fehlt, dessen Autorität wird Stück für Stück untergraben. Der Geist der Freiheit ist aus der Flasche, und es gelingt der Führung und ihren Schlägern offensichtlich nicht mehr, ihn wieder zurückzusperren. Die Menschen spüren, dass das Regime wankt. Und sie haben einen Wahlkampf lang davon geträumt, was möglich wäre. Diese Hoffnung auf einen anderen Iran kann ihnen niemand nehmen."
Die Frankfurter Allgemeine stimmt in den Tenor ein: Das mit großer Spannung erwartete Freitagsgebet habe gezeigt, dass die Glut unter der Asche jederzeit wieder zu entfachen sei, heißt es hier. "Anders als vor zehn Jahren, als der populäre Präsident Chatami gegenüber den Hardlinern des Regimes einknickte, lässt sich die Opposition diesmal nicht einschüchtern und nicht unterkriegen. Die Farbe Grün - ihr politisches Markenzeichen - wird so schnell nicht aus der Öffentlichkeit verschwinden."
Ähnlich kommentiert auch die Märkische Allgemeine das Geschehen im Iran: "Mit einer Politik der dosierten Repression haben es die Hardliner bislang geschafft, die Proteste auf den Straßen fast vollständig versiegen zu lassen. Eine trügerische Ruhe, die sogleich dahin ist, wenn ein namhafter Unterstützer das Wort ergreift." Dabei sei der Auftritt von Ex-Präsident Ali Rafsandschani nur der nach außen gut sichtbare Teil der Spannungen im Mullah-Regime gewesen, disputiert das Potsdamer Blatt, das eine "ganze Reihe von Krisenzeichen zu erkennen" meint. "So hat sich eine wachsende Zahl zum Teil hoher Geistlicher auf die Seite der Opposition gestellt. All das muss nicht gleich eine neue Revolution ankündigen. Einen Wandel im politischen Gefüge der islamischen Republik kann man darin aber sehr wohl erkennen", kommentiert das Blatt.
"Dass fünf Wochen nach der Stimmenauszählungs-Farce Zehntausende in Teheran furchtlos auf die Straße gingen und das Ende der Diktatur forderten, muss das Regime alarmieren. Dass der ranghohe Geistliche und frühere Staatschef Rafsandschani dem Frust und der Wut der Massen öffentlich eine Stimme gab, erst recht", argwöhnt die Neue Osnabrücker Zeitung. Rafsandschani sei aus der Deckung gekommen. "Seine Forderung nach Freilassung von Oppositionellen und sein Verständnis für die Demonstrationen sind eine klare Parteinahme und eine Herausforderung, die sich nicht mit Tränengas und Knüppel-Milizen erledigen lässt." Und so werde der – wie im Märchen einmal entwichene Geist, der sich nur schwer in die Flasche zurückzwingen lässt – "auch der Ruf nach Freiheit und Rechtsstaatlichkeit nicht mehr verstummen", schließt sich das Blatt der einhelligen Meinung an.
"So wie im Teheran dieser Tage fangen Revolutionen an", heißt es im Wiesbadener Kurier. Auch wenn die Staatsmacht möglicherweise mit noch blutigerer Repression der Lage Herr werden könne, wäre es für die Führung um Khamenei allemal klüger, "Ahmadinedschad fallen zu lassen, bevor es zu spät ist, und mit den alles andere als revolutionären Oppositionsführern in einen vernünftigen Dialog zu treten". Denn, so resümiert das Blatt: Mit jeder weiteren Verhärtung würde aus dem Konflikt innerhalb des islamischen Systems tendenziell ein Streit um die Legitimität des Gottesstaates.
Zusammengestellt von Susanne Niedorf
Quelle: ntv.de