"Fernwirkung beschädigt den Rechtsstaat" Der "kleine Wetterfrosch" ist frei
31.05.2011, 22:35 Uhr
Journalisten bei der Arbeit. Hier vor dem Landgericht Mannheim.
(Foto: dapd)
Das große Spektakel um den "kleinen Wetterfrosch" – wie die "Main Post" Jörg Kachelmann bezeichnet – ist zu Ende. Der Freispruch Kachelmanns ruft bei den Kommentatoren der deutschen Tageszeitungen ein geteiltes Echo hervor. Kritik gibt es am Gericht, genau wie an der Verteidigung, der Staatsanwaltschaft – und den Medien. Und weisen darauf hin, dass mit diesem Prozess Dämme gebrochen sind, die sich nie wieder reparieren lassen.
So bemerkt der Kölner Stadt-Anzeiger zum Freispruch von Jörg Kachelmann: "Die Annäherung an die Wahrheit war fast unmöglich wegen fehlender oder mit Mängeln behafteter Indizien. In jedem Indizienprozess bleiben Zweifel, hier aber besonders viele, zumal die Öffentlichkeit bei entscheidenden Vernehmungen ausgeschlossen blieb. Das Strafverfahren, das in fataler Fehleinschätzung gelegentlich als 'Prozess des Jahrhunderts' charakterisiert wurde, wird jedenfalls in die Justizgeschichte eingehen - als abschreckendes Beispiel für zukünftige Juristen. Der Freispruch mag Jörg Kachelmann erleichtern, aber die ihm zuvor auferlegte Strafe der Ausspähung und Ausbeutung seines Privatlebens tilgt sie nicht. Auch seine Ex-Freundin verlässt schwer beschädigt den Gerichtssaal. Die Rückkehr in das, was man ein normales Leben nennt, wird ihr schwer fallen."
"Das Gericht hat sich bemerkenswert bemüht mit dem Fall und fast 40 Tage lang fast jede denkbare Frage an jeden Zeugen und Gutachter gestellt. Am Ende aber hat es deutlich gemacht, dass es selbst unzufrieden ist mit seinem Urteil", schreibt Die Welt. "Es schien, als hätte die Kammer Kachelmann lieber verurteilt. Sie war sich jedoch bewusst, dass das rechtlich keinen Bestand haben würde. Es kann also keine Rede davon sein, dass das Urteil Männern einen Freifahrtschein zur Gewalttätigkeit gegeben hätte. So unbefriedigend es sein mag, Gerichte werden beim Bemühen, die Wahrheit zu finden, immer wieder an ihre Grenzen stoßen."
"Die schlimmste Folge des Kachelmann-Prozesses" sehen die Stuttgarter Nachrichten darin, dass jetzt "noch weniger Frauen als bisher bereit sein werden, eine Vergewaltigung bei den Ermittlern anzuzeigen. Denn sie haben nun in aller Dramatik erfahren, was sie erwartet und welche Risiken sie damit eingehen. Diese Fernwirkung schädigt nicht nur einzelne Menschen, sie beschädigt den Rechtsstaat."
Die Süddeutsche Zeitung nimmt die Richter von Mannheim in Schutz, die nun "womöglich mit der drückenden Gewissenslast nach Hause gehen, einen Menschen freigesprochen zu haben, den sie in ihrem Innersten vielleicht für einen Vergewaltiger halten. Und doch haben sie entschieden, sich an den zentralen Satz des Rechtsstaats zu halten, dessen Größe wohl nur noch die Bewohner diktatorischer Regimes ermessen können: dass im Zweifel für den Angeklagten zu entscheiden sei."
"Einen Freispruch zweiter Klasse kennt unser Recht nicht", behauptet die Berliner Morgenpost. "Justitia ist es egal, ob ein Angeklagter die Tat zweifelsfrei nicht begangen hat oder ob der Vorwurf lediglich nicht beweisbar ist: Unschuldig ist unschuldig, ein Freispruch aus Mangel an Beweisen ist keinen Deut schlechter als das First-Class-Ticket in die Freiheit, das den Vorwurf komplett vom Tisch fegt. In der Realität helfen diese rechtlichen Feinheiten all jenen, die in das trostlose Verfahren verstrickt waren, nur bedingt. Der Schaden ist da, Jörg Kachelmann und seine Ex-Freundin sind gleichermaßen mit Makel belegt. Viele werden trotz Freispruchs in Kachelmann weiter den potenziellen Vergewaltiger sehen, andere in der 38-jährigen Radiomoderatorin eine rachsüchtige Lügnerin. Der Prozess brachte nur Verlierer hervor."
Die Sächsische Zeitung schreibt: "In diesem speziellen Fall stand Aussage gegen Aussage. Da bleibt Raum für Spekulationen, besonders bei einer Beziehungstat. Trotz schwieriger Beweislage darf die Justiz aber nicht darauf verzichten, solche Strafanzeigen zu prüfen. Vielfach ist behauptet worden, die Ankläger seien so konsequent gegen Kachelmann vorgegangen, um zu zeigen, dass sie keine Angst vor einem Promi haben. Das ist absurd."
"Nach der Entscheidung der Mannheimer Richter bleiben zwei Verlierer zurück, kein Gewinner", stößt die Leipziger Volkszeitung ins bekannte Horn. "Kachelmann, dessen Ruf und Karriere starken Schaden erlitten hat. Und das mutmaßliche Opfer, das in den Augen einiger als rachsüchtige Lügnerin gilt, die sich nur wichtig machen wollte. Zudem könnte das Urteil schwerwiegende Folgen haben, nicht nur für die beiden Hauptpersonen des Prozesses. Die ohnehin hohe Hemmschwelle für Opfer von sexueller Gewalt, die Täter anzuzeigen, wächst möglicherweise ins Unermessliche. Das darf keinesfalls geschehen. Genauso wenig sollte dieses Urteil den Eindruck vermitteln, sexuelle Übergriffe seien nicht verwerflich. Das Gegenteil ist der Fall."
Nicht fein geht die Eßlinger Zeitung mit dem Freigesprochenen um: "Jörg Kachelmann ist ein freier Mann. Sein altes Leben bekommt er nicht zurück. Zu sehr hat sich der lustige Eidgenosse aus dem virtuellen Wetterstudio als luftiger Zeitgenosse des realen Lebens entzaubert. Kachelmann ist durch die Enthüllungen über sein Privat- und Intimleben als fragwürdige Person entlarvt. Sein jahrelanges Doppel- beziehungsweise Vielfachleben, notorische Lügen und ein schlicht bizarres Geschlechterverständnis dürfen als erwiesen gelten. Allein, schlechter Charakter ist nicht justiziabel. Die Vergewaltigung, die es wäre, ist dagegen nicht erwiesen. Indizien gibt es reichlich. Doch sie sind eben nur Hinweise und keine Belege."
Quelle: ntv.de, Zusammengestellt von Peter Richter