Panorama

Im Zweifel für Kachelmann Freispruch mit Nachgeschmack

Der Medienprofi Kachelmann verzieht keine Mine beim Verlassen des Gerichts.

Der Medienprofi Kachelmann verzieht keine Mine beim Verlassen des Gerichts.

(Foto: dapd)

Der Prozess gegen Jörg Kachelmann endet mit einem Freispruch. Der Moderator bleibt regungslos, seine Ex-Geliebte bricht in Tränen aus. Richter und Verteidigung überziehen sich gegenseitig mit Kritik. Zurück bleiben zwei Menschen unter Verdacht. Die Reaktionen auf den Freispruch des Wettermanns könnten kaum unterschiedlicher sein.

Wettermoderator Jörg Kachelmann ist vom Vorwurf der Vergewaltigung seiner Ex-Freundin freigesprochen worden. Für eine Verurteilung fehlten den Richtern am Landgericht Mannheim die Beweise. Was wirklich zwischen Kachelmann und seiner ehemaligen Geliebten geschah, bleibt im Dunkeln. Damit ging nach fast neun Monaten und 44 Verhandlungstagen einer der spektakulärsten Prozesse in der Geschichte der Bundesrepublik zu Ende. Gleich nach der Verkündung begann allerdings der Kampf um die Deutungshoheit in dem Fall, in dem Aussage gegen Aussage steht.

Seidling lässt nichts gutes an den Medien.

Seidling lässt nichts gutes an den Medien.

(Foto: dapd)

"Der heutige Freispruch beruht nicht darauf, dass die Kammer von der Unschuld des Angeklagten überzeugt ist und im Gegenzug von einer Falschbeschuldigung der Nebenklägerin", sagte der Vorsitzende Richter Michael Seidling am Dienstag. Es bestünden aber "begründete Zweifel an der Schuld von Herrn Kachelmann". Deshalb sei er nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" freizusprechen. Seidling: "Es bleibt die Erkenntnis, dass dem menschlichen Erkenntnisvermögen Grenzen gesetzt sind."

Der Vorsitzende Richter äußerte bei der Urteilsverkündung auch scharfe Kritik an Verteidiger Johann Schwenn und den Medien. Schwenn keilte zurück. Die Staatsanwaltschaft erklärte, sie werde das Urteil prüfen und dann entscheiden, ob sie Revision einlegt. Sie hatte eine Haftstrafe von vier Jahren und drei Monaten gefordert. Und auch für die Verteidigung ist die Sache noch nicht vom Tisch. Schwenn kündigte an, er werde sich darum kümmern, dass der Schaden wieder gut gemacht werde. Das könnte eine Klage vor dem Zivilgericht bedeuten.

Das Gericht war mit dem Freispruch dem Antrag der Verteidigung gefolgt. Im Publikum gab es Applaus und Jubel. Kachelmann hörte der Urteilsverkündung ohne sichtbare Regung zu. Anschließend verließ er das Gericht, ohne sich zu äußern. Seine 38-jährige Ex-Geliebte, die Hauptzeugin der Anklage, wischte sich am Ende der knapp einstündigen Urteilsverkündung Tränen aus den Augen. Sie hatte Kachelmann beschuldigt, sie mit einem Messer bedroht und vergewaltigt zu haben. Er hatte die Vorwürfe stets bestritten. DNA-Spuren stützten die Anklage nicht.

Kachelmann steigt wieder ein

Wie geht es mit Kachelmann nach dem Freispruch weiter? Der Moderator werde jetzt wieder voll bei dem von ihm gegründeten Wetterdienst Meteomedia einsteigen, teilte das Unternehmen mit. Dazu gehörten auch seine Kommentare zum Wettergeschehen in Medien wie Radio Basel, dem Sender Radio Primavera mit Sitz in Aschaffenburg und Twitter. Zur ARD, wo er jahrelang das Wetter moderiert hatte, wird er vorerst aber nicht zurückkehren.

Alle Beobachter sind sich sicher, dass der Medienmann zurück ins Fernsehen kommen wird.

Alle Beobachter sind sich sicher, dass der Medienmann zurück ins Fernsehen kommen wird.

(Foto: AP)

Für die Zeit in Untersuchungshaft sowie Durchsuchungen und Beschlagnahmen kann Kachelmann Entschädigung verlangen. Er saß nach seiner Verhaftung 132 Tage lang in Untersuchungshaft. Nach dem "Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen" hat er für jeden Tag Anspruch auf 25 Euro. Zudem könnte er aber auch einen möglichen Verdienstausfall wegen der Haftzeit geltend machen.

Auch die Kosten seiner Verteidigung muss die Staatskasse bezahlen. Dies gilt aber nur für die "notwendigen Auslagen". Das kann auch die Kosten eines zweiten Verteidigers abdecken - allerdings nur bis zur Höhe des gesetzlichen Vergütungssatzes. Sollte Staranwalt Schwenn höhere Sätze verlangen, müsste Kachelmann die Mehrkosten selbst tragen.

Schelte für alles und jeden

Der Vorsitzende Richter Seidling nutzte die Urteilsverkündung für ungewöhnlich heftige Kritik an Verteidiger Schwenn und den Medien. Schwenn habe den "respektvollen Umgang" häufig vermissen lassen und mit seinen Vorwürfen dem Ansehen der Justiz geschadet.

Seidling kritisierte außerdem die Berichterstattung in den Medien: "Statt der gebotenen Zurückhaltung gegenüber einem laufenden Verfahren prägten vorschnelle Prognosen, das einseitige Präsentieren von Fakten und mit dem Anschein von Sachlichkeit verbreitete Wertungen die Berichterstattung." Der Wahrheitsfindung in der Hauptverhandlung sei dies in hohem Maße abträglich. Seidling war während des Prozesses wiederholt in verschiedenen Medien für seine Verhandlungsführung kritisiert worden.

Kachelmann zwischen seinen Anwälten Schwenn (l.) und Combé.

Kachelmann zwischen seinen Anwälten Schwenn (l.) und Combé.

(Foto: REUTERS)

Kachelmanns Anwalt Schwenn hingegen sprach von einem "befangenen Gericht". Die Kammer hätte Kachelmann "zu gerne verurteilt" und in der Urteilsbegründung nochmal "richtig nachgetreten", um "den Angeklagten maximal zu beschädigen". Schwenn sprach von einer "Erbärmlichkeit im Gerichtssaal". Pflichtverteidigerin Andrea Combé betonte, rechtlich gesehen gebe es keinen "Freispruch zweiter Klasse". Es gelte lediglich der Grundsatz "in dubio pro reo" - im Zweifel für den Angeklagten.

Verdacht kann nicht ausgeräumt werden

Für Richter Seidling bleibt ein schaler Nachgeschmack: "Wir entlassen den Angeklagten und die Nebenklägerin mit einem möglicherweise nie mehr aus der Welt zu schaffenden Verdacht, ihn als potenziellen Vergewaltiger, sie als potenziell rachsüchtige Lügnerin."

Das Gericht wies darauf hin, dass sowohl die Nebenklägerin als auch Kachelmann in Teilen die Unwahrheit gesagt hätten. Die 38-Jährige hatte einige falsche Angaben zur Vorgeschichte der angeblichen Tat gemacht. Kachelmann hat nach Überzeugung des Gerichts zum Streit mit der Ex-Geliebten vor dem Haftrichter nicht immer die Wahrheit gesagt.

Das Gericht stellte jedoch fest, dass "die objektive Beweiskette in die eine wie die andere Richtung immer wieder abreißt". Aus den Vernehmungen anderer Ex-Geliebter des Moderators gehe zudem hervor, dass Kachelmann sexuell zwar Grenzen auslote, aber immer auf Einvernehmlichkeit bedacht gewesen sei, erklärte das Gericht.

Der Anwalt der Ex-Geliebten sprach von "Freispruch dritter Klasse". "Ich bin auf keinen Fall am Boden zerstört", sagte Thomas Franz der Illustrierten "Bunte". In der Urteilsbegründung habe das Gericht klar gemacht, dass es "weder von der Unschuld von Herrn Kachelmann, noch von einer Falschaussage meiner Mandantin überzeugt" sei.

Frauenrechtsverbände sehen ein falsches Signal

Alice Schwarzer: Respekt vor dem Opfer.

Alice Schwarzer: Respekt vor dem Opfer.

(Foto: dapd)

Die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer stellte sich weiter an die Seite der Ex-Freundin und Nebenklägerin. "Man muss auch Respekt vor dem möglichen Opfer haben", sagte Schwarzer, die den Prozess für die "Bild"-Zeitung begleitet hatte. Der Opferschutz- und Frauenrechtsverbände sprachen von einem falschen Signal, das der Prozess setze. Dass ein Freispruch nach dem Grundsatz "Im Zweifel für den Angeklagten" häufig "Im Zweifel gegen das Opfer" bedeute, sei vielen Juristen nicht bewusst, sagte Veit Schliemann vom Opferverein "Weißer Ring".

Wegen des Trubels um den Prozess und der Vorverurteilung der Nebenklägerin in Teilen der Öffentlichkeit würden sich Opfer sexueller Gewalt in Zukunft noch weniger trauen, Anzeige zu erheben, erklärte die Frauenrechtsorganisation Terres des Femmes.

Der Freispruch löst nach Einschätzung des Bundesverbandes deutscher Frauennotrufe Unsicherheit bei Vergewaltigungsopfern aus. "Damit bestätigt sich die schlimmste Befürchtung von Frauen. Die Angst, dass man ihnen eine Vergewaltigung nicht glaubt", sagte Gudrun Wörsdörfer vom Frauennotruf in Frankfurt.

Ein "schrecklich amerikanisierter Medienprozess"

Henning Mueller:

Henning Mueller:

(Foto: dpa)

Der Regensburger Strafrechts-Professor Henning Ernst Mueller sprach von "viel Kritikwürdigem an dieser Verhandlung". Die Staatsanwaltschaft sei "zu weit" gegangen, indem sie viele Informationen an die Presse gegeben habe. "Hart an der Grenze des Erträglichen" sei auch gewesen, dass Zeuginnen von der Presse außerhalb der Hauptverhandlung Geld für Interviews angeboten wurde.

Die Juristin Monika Frommel, Direktorin des Instituts für Sanktionenrecht und Kriminologie an der Christian-Albrechts-Universität Kiel, fällte ein vernichtendes Urteil: "Wir haben einen schrecklichen amerikanisierten Medienprozess erlebt." Der Freispruch für Jörg Kachelmann sei "zwingend, angesichts der schlechten objektiven Beweislage und angesichts der Aussage der Opferzeugin".

Auch Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) kritisierte Rolle der Medien in dem Prozess. "Rechtsstaatliche Verfahren drohen ausgehebelt zu werden, wenn die Beweisaufnahme vom Gerichtssaal in Talkshows verlagert wird." Sie lobte aber das Urteil des Gerichts. "Das Urteil stärkt das Vertrauen in die Unabhängigkeit der deutschen Justiz."

Quelle: ntv.de, dpa/AFP

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