Nächster Denkzettel aus Karlsruhe Deutschland doch "eine Komikernation"
25.07.2012, 21:06 Uhr
Und wieder kassiert Schwarz-Gelb eine Schelle aus Karlsruhe: Dieses Mal monieren die Verfassungsrichter das gerade erst beschlossene, neue Wahlrecht. Eilig muss das Parlament jetzt nachbessern, denn spätestens nächsten Herbst gibt es den nächsten Urnengang. Wenn es denn überhaupt zu einer Einigung kommt. Über das Wahlrechtsdebakel zerreißen sich auch nun die Zeitungen den Mund.
Die Süddeutsche Zeitung macht eine absurde Situation aus: Es gebe für die Bundestagswahl 2013 mitunter schon Kandidaten in verschiedenen Wahlkreisen, "aber keine Rechtsgrundlage". Es sei erstaunlich, "welchen Spielraum Karlsruhe dem Bundestag dennoch gewährt. Jedenfalls kann man dem Gericht nicht vorwerfen, es schwinge sich zu einer Ersatzregierung auf - auch wenn eingedenk der gegebenen Mehrheit und der desolaten Vorstellung eine solche Anmaßung ausnahmsweise beinahe wünschenswert gewesen wäre."
Für die Frankfurter Rundschau ist Deutschland das, "was Bundeskanzlerin Angela Merkel - wenn auch in anderem Zusammenhang - unbedingt vermeiden wollte: eine Komikernation. Die Verantwortung dafür tragen Union und FDP." Vor 20 Jahren habe Bundespräsident Richard von Weizsäcker geklagt, die Parteien hätten sich den Staat zur Beute gemacht, sie seien "machtversessen" und "machtvergessen". "Christdemokraten und Liberale haben mit dem von ihnen im Parlament gegen die Stimmen der Opposition durchgeboxten Wahlgesetz bestätigt, dass diese Behauptung seitdem nichts von ihrer Aktualität verloren hat."
Die Neue Westfälische referiert: "Man mag diese 'Klatsche' wegen der Eindeutigkeit der Rechtslage erwartet haben. Denn in der Tat waren bereits im Beratungsprozess des Gesetzes erhebliche Zweifel daran aufgetaucht." Die politische Wirkung eines solchen Verhaltens der Exekutive allerdings sei verheerend. "Sie weckt die Erinnerung an das fatale Merkel-Wort vom 'Durchregieren', das sie 2009 für die schwarz-gelbe Mehrheit in Bundestag und Bundesrat reklamierte. Wenn schon gewählte Volksvertreter so wenig Achtung vor dem Rechtsstaat und dem Wahlrecht haben, wie wollen sie dann der latenten Versuchung widerstehen, alle demokratisch legitimierte Macht und also sich selbst aufzugeben? Wenn die Machtfrage zur Verfassungsfrage wird, ist etwas faul im Staat. Gut, dass es Verfassungsrichter gibt!"
Das Handelsblatt sieht mit dem Karlsruher Spruch die Demokratie gestärkt: "Das Gericht macht mit seinem Spruch unmissverständlich klar: Das Wahlrecht ist für das Volk, den Souverän da. Erst in zweiter Linie für dessen Stellvertreter im Parlament. Man gewinnt indes den Eindruck, als wollten viele Parlamentarier dies partout nicht hinnehmen. Bereits viermal hat das Bundesverfassungsgericht eine Reform anmahnen müssen, zuletzt vor vier Jahren. Drei Jahre hatten die offenbar Unberatenen debattiert - und dann den Boden des Grundgesetzes erneut verfehlt. Dabei ist das Wahlrecht die Legitimationsbasis des Parlaments. Doch Verfassung können unsere Parlamentarier wohl nicht."
Und der Mannheimer Morgen stellt fest: "Die Koalition hat die angeordnete Reform des Wahlrechts versemmelt. Eine fraktionsübergreifende Lösung wäre bei den Interessenkonflikten zwischen großen und kleinen Parteien zwar schwierig gewesen. Aber CDU/CSU und FDP haben das Thema ohne Not auf die lange Bank geschoben und dann ein paar Änderungen beschlossen, die das komplexe Zwei-Stimmen-System weder einfacher noch besser machten. Bis zur Bundestagswahl im Herbst 2013 steht die Regierung nun gewaltig unter Druck. So gerecht ihr das geschieht: Eine umfassende, sinnvolle Reform des viel zu komplizierten Systems ist da leider wenig wahrscheinlich. Die Wahlkreise lassen sich so schnell kaum neu ziehen. Im Zweifel wird wohl zum Ausgleich für Überhangmandate das Parlament mit zusätzlichen Sitzen aufgebläht."
Quelle: ntv.de